Es ist die Osterwoche 2020. Zurzeit ist das
gesellschaftliche Leben in Deutschland wegen der Corona-Pandemie eingeschränkt.
Ich sehe mir die Passionsandacht aus der Essener Auferstehungskirche im
Internet an? Ganz zufällig eigentlich. Die knapp 10 Minuten tun mir gut, zumal
ich an diesem Tag erfahren habe, dass ein Freund gestorben ist. Auf der Kanzel
steht ein Mann in seiner Berufskleidung. Er trägt einen schwarzen Talar und
eine weiße Halsbinde. „Beffchen“ heißt dieses Stück am Hals. Ein Pfarrer hält
die Predigt, glaubt der unbedarfte Zuschauer. Ich zunächst auch. Aber bei
genauem Hinschauen erkenne ich ihn. Der Mann auf der Kanzel ist mein
Polizeikollege und Mitglied der International Police Association (IPA) Colin B.
Nierenz. Wie kommt ein Polizist an diesen Ort? Darüber habe ich mit ihm
gesprochen. Der 43-Jährige ist mit der künstlerischen Leiterin der Essener
Philharmonie Babette Nierenz verheiratet. Das Ehepaar hat drei Kinder.
Colin, zwei
interessante Tätigkeiten führst Du aus. Du bist im Hauptberuf Polizeibeamter in
einer Führungsfunktion und im Ehrenamt evangelischer Geistlicher. Wie geht das
zusammen?
Grundsätzlich ist es wichtig, die beiden
Ämter zu trennen. Denn im Polizeidienst habe ich mich religiös neutral zu
verhalten und als Seelsorger stehen andere Dinge im Mittelpunkt, als im
Polizeidienst. Doch beide Ämter beeinflussen sich aus meiner Sicht gegenseitig
positiv. Als Polizist habe ich gelernt, mit Krisen umzugehen. Dieses Wissen
kommt mir als Seelsorger zu Gute, wenn ich mit Menschen in Lebenskrisen
spreche. Umgekehrt ist es in so manchem Gespräch mit Mitarbeitern sehr
von Vorteil, wenn man mal das Ohr des Seelsorgers einschaltet und Probleme aus
dieser Sicht betrachtet.
Erzähl uns ein
bisschen über dich. Warum bist Du Polizist geworden?
Ich habe 1993 mit 17 Jahren bei der
Polizei angefangen, weil ich gerne einen für die Gesellschaft wichtigen Beruf
ergreifen wollte. Mir war und ist wichtig dazu beizutragen, dass die
gesetzlichen Grundlagen in unserem Land eingehalten werden, damit die
größtmögliche Freiheit jedes Menschen möglich ist und damit wir in Frieden und
Sicherheit leben können.
Wie ist die Reaktion
Deiner Polizeikolleginnen und -kollegen, wenn sie von deinem ehrenamtlichen
Engagement erfahren?
Manche sind zurückhalten, aber auch viele
interessiert. Ich vermeide im Dienst grundsätzlich jede missionarische
Tätigkeit. Wenn jemand mich fragt, spreche ich gerne mit ihnen über Religion
und Glauben. Aus solchen Gesprächen entstehen manchmal auch konkrete
Folgen und theologische Aufgaben.
Das freut mich besonders. So habe ich schon einige Kolleginnen und Kollegen
getraut oder ihre Kinder getauft, zweimal eine Kollegin und einen
Kollegen bei ihrem letzten Weg begleitet und sie beerdigt. Das war für mich
eine besondere emotionale Herausforderung.
Wie wird man
Prädikant und was machst Du in dieser Funktion?
Die Gemeindeleitung (Presbyterium) kann
Gemeindemitglieder, die sie für geeignet hält, zur Ausbildung entsenden. Die
Ausbildung dauert zwei Jahre und wird von der Landeskirche durchgeführt.
Anschließend gibt es eine Abschlussprüfung. Nach der Prüfung wird man dann in
seiner Gemeinde in einem Gottesdienst ordiniert und damit in die
Dienstgemeinschaft der Geistlichen aufgenommen. Ich halte jeden Monat den
Kindergottesdienst und einen Hauptgottesdienst. Daneben führe ich
Seelsorgegespräche und führe Taufen, Trauungen und Beerdigungen durch.
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Mit Polizeipräsident Frank Richter (rechts) |
Was hat dich dazu
gebracht, etwas für das Seelenheil der Menschen zu tun? Gab es einen Anlass?
Ich habe im Gottesdienst vorher öfter die
Lesungen gehalten. Dabei habe ich immer den Impuls gespürt, dass ich mehr
machen sollte. Mein Pfarrer, der auch ein guter Freund von mir ist, hat das
auch gespürt und mich gefragt, ob ich nicht Prädikant werden möchte.
Wie reagieren die
Menschen, wenn sie erfahren, dass Du gar kein „richtiger“ Pfarrer bist und dann
noch, was Du eigentlich beruflich machst?
Die meisten sind sehr aufgeschlossen und
freuen sich, dass auch jemand da ist, der noch einen anderen Beruf hat und
seine Erfahrungen einbringt.
Der Polizist und
Theologe kommt in Bereiche, die für andere verschlossen bleiben. Zumindest
kommt er nicht so nah dran wie wir. Ausgenommen natürlich im familiären Kreis,
wenn jemand stirbt. Wie ist dein Verhältnis zum Sterben und Tod?
Mir wird bei jedem Sterben bewusst, wie
groß der Schmerz der Angehörigen ist und wie wichtig es ist, für die Menschen
in dieser Situation da zu sein. Für uns Christen ist der Tod nicht das Ende,
sondern der Beginn des ewigen Lebens. Damit können wir den Angehörigen
Zuversicht geben. Die Beerdigung ist dann nicht nur ein Bericht über das Leben
des Verstorbenen und dann Klappe zu und Ende. Die Beerdigung ist aus christlicher
Sicht auch immer ein gemeinsamer Blick in die Zukunft und darauf, wie es
weitergehen kann.
Gibt es neben denen
Haupttätigkeiten noch andere Leidenschaften oder Hobbies?
Meine Frau Babette und ich haben drei
Kinder, mit denen wir uns viel beschäftigen. Darüber hinaus laufe ich sehr
gerne und bereite mich gerade wieder auf einen Marathon vor. Ein gemeinsames
Hobby unserer gesamten Familie ist Musik. Wir singen gerne zusammen und wenn es
die Zeit erlaubt, treten meine Frau Babette am Klavier und ich als Udo
Jürgens-Interpret auf.
Wir durchschreiten
zurzeit eine schwierige Zeit. Ich meine natürlich die Corona-Krise. Und wir
befinden uns in der Osterwoche, steuern auf das Fest zu? Für Christen ein ganz
besonderes. Was möchtest Du den Menschen aus theologischer,
vielleicht auch aus persönlicher Sicht mitteilen? Hast Du einen Rat?
Wir sollten aufmerksam und besonnen
bleiben. Aus christlicher Sicht möchte ich den Menschen den österlichen Ruf
Jesu mitgeben: „Fürchtet Euch nicht!“. Jesus hat den Tod überwunden. Er steht
uns auch in der Coronakrise bei. Jeder ist eingeladen, Jesu Kraft für sein
Leben zu suchen. „Wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird
aufgetan.“ (Matthäus 7,8)