Mittwoch, 20. Juli 2022

Essen, Oberhausen, Duisburg, Bochum - Polizei verabschiedet sich von der Geschichte


Versagen des Bau- und Liegenschaftsbetriebs NRW und der Landesregierung?

Fragt man einen Immobilenexperten worauf es bei der Wohnungssuche ankommt, wird er wahrscheinlich antworten: Erstens Lage, zweitens Lage, drittens Lage. In  einer hervorragende Lage befindet sich das Essener Polizeipräsidium. Im so genannten Justizviertel in Rüttenscheid zur Stadtteilgrenze Holsterhausen. Einst von 1914 bis 1918 für 250 Mitarbeiter erbaut, arbeiten jetzt dort rund 400. Allerdings war zu Kaisers Zeiten der Platzbedarf anders bemessen als heute. Nachdem die Kriegsschäden beseitigt wurden, erfolgte nach und nach die Sanierung des Gebäudes. Es hat in den 1990er-Jahren  und danach ein neues Polizeigewahrsam, einen neuen Westviertel und modernen Zwischenbau bekommen sowie eine  ein Grundsanierung um die Jahrtausendwende. Wir sprechen von einem Gebäude in guter Grundsubstanz.

Polizeipräsidium Essen - erbaut 1914 bis 1918

Raus aus dem „Mutterhaus“ will die Essener Polizeiführung mit ihren dort ansässigen Dienststellen, weil der Vermieter nicht in der Lage scheint, den baulichen und technischen Ansprüchen genüge leisten zu können. Somit wurde der Mietvertrag klammheimlich gekündigt, die Stadtgesellschaft selbst Polizeibedienstete überrascht und vor fast vollendete Tatsachen gestellt. Eine öffentliche Debatte fand nicht statt. Als diese begann , hieß es schon: „Der Auszug ist in trockenen Tüchern.“

 

Wer ist eigentlich der Vermieter? Nicht die Polizei. Bis 2001 war es das staatliche Staatshochbauamt, also eine klassische Behörde. Dann kam die Landesregierung auf die Idee der Verwaltungsmodernisierung nach dem Motto „privat vor Staat“ und übertrug das gesamte Immobilienvermögen dem Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW (BLB NRW). Voller Stolz lobte der damalige Finanzminister Peer Steinbrück diesen politischen Schachzug: „Dies ermöglicht eine professionellere und wirtschaftlichere Verwaltung sowie eine kostengünstigere Bewirtschaftung der Immobilienbestände.“ So war das Land NRW im Immobilienhaifischbecken gestrandet.

 In den Hochglanzprospekten des BLB NRW konnte man diesen Lobgesang auf die eigenen Fähigkeiten bestaunen. Rund 4100 Gebäude mit einer Mietfläche von mehr als 10 Millionen Quadratmetern befanden sich nun in privater Hand, allerdings unter Aufsicht  des Finanzministeriums.

Im Bauhausstil von 1931 - die Polizeikaserne - Polizeischule

Professionellere und wirtschaftlichere Verwaltung? Das Gegenteil war der Fall, zumindest an zwei Polizeiliegenschaften in Essen.  Die ehemalige Kaserne und Polizeischule an der Norbertstraße 165 mit zig Dienststellen, u.a. den Spezialeinheiten und der Diensthundestaffel, fühlten sich dort oben im Stadtteil Bredeney an der Autobahn 52 gut aufgehoben. Ein ideales großzügiges Gelände mit vielfältigen Trainingsmöglichkeiten, Hubschrauberladeplatz und Anbindung. Wie das Polizeipräsidium an der Büscherstraße standen auch hier einige Gebäude unter Denkmalschutz. Und der BLB NRW ließ die Liegenschaft vergammeln. Legionellen in den Leitungen, warmes Wasser für die Klospülung, ungezügelter Grünwuchs. Das sah jeder Kollege, der dort oben im Stadtteil Bredeney arbeitete. Trotz der Missstände fühlten sich viele dort wohl. Ein Umzug in eine neue Liegenschaft wurde notwendig. Die oben genannten Dienststellen weinen zum Teil heute noch der im Bauhausstil Anfang der 1930er-Jahren gebauten Unterkunft nach. Sie haben sich mit dem Auszug verschlechtert, so einige Stimmen.

Passiert jetzt Ähnliches mit dem Polizeipräsidium? Der Polizeimieter hat den Vertrag gekündigt, will raus und sucht eine neue Bleibe. Und er wollte genau dorthin, wo sich bereits etwa 1000 Polizisten befinden. In die alte Karstadt-Hauptverwaltung oder in den angrenzenden Büropark, ist dem Ausschreibungsprofil zu entnehmen.  Das bedeutet: lange Laufzeit, teure Miete – ein Millionen-Deal für den neuen Vermieter. Und vom BLB NRW hört man nichts. Oder spekuliert er wie es im Immobiliengeschäft oft üblich ist. Der unzufriedene Mieter ist weg. Ein riesiges Gebäude samt Filetgrundstück in bester Lage  als Verkaufsmasse zur Verfügung, zwar denkmalgeschützt aber im guten Zustand.

 

Die alte Polizeischule wurde mittlerweile für 25,5 Millionen Euro auf den Immobilienmarkt angeboten und soll einen privaten Aufkäufer gefunden haben. Die Zeitung schrieb, dass dort Asylunterkünfte entstehen sollen. Dort oben auf dem Berg, von wo einst Polizisten in der Naziherrschaft nach Polen zu Mord- und Gräueltaten ausrückten.

Polizeipräsidium Bochum im Schatten des Bergbaumueums

Zurück zum BLB. Nach der „Verwaltungsmodernisierung“ geriet der Liegenschaftsbetrieb in die Schlagzeilen und in die Kritik. Der Landesrechnungshof und die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wuppertal ermittelten gegen BLB-Mitarbeiter. Der Ex-Chef wurde 2017 zu mehr als sieben Jahren Haft verurteilt. Der Vorwurf: Korruption und Bestechlichkeit. Weitere Vorwürfe standen im Raum.

Zurück nach Essen. Polizeipräsident Frank Richter, der als Mieter schon den Auszug aus der alten Polizeischule vorantrieb, begründete den jetzigen Auszug aus dem Polizeipräsidium an der Büscherstraße u. a.: “Diese technischen Anpassungen lassen sich in dem alten Gebäude des Präsidiums nur durch sehr umfangreiche Baumaßnahmen verwirklichen, die nicht nur unverhältnismäßig hohe Kosten bedeuten würden, sondern auch im laufenden Polizeibetrieb nicht realisierbar wären. Ein flexibles, zukunftsorientiertes Raumkonzept mit modernen Büro-, Besprechungs- und Führungsräumen, die für die Leitung von Großeinsätzen unabdingbar erforderlich sind, lässt sich wegen statischer Zwänge sowie der vielen Vorgaben des Denkmal- und Arbeitsschutzes faktisch nicht realisieren.“ Liest sich gut - aber auch stimmig? Der Polizeichef argumentiert wie ein Bauherr. Ist aber nur Mieter.

Polizeipräsidium Duisburg

Und vom „Besitzer“ hört die Öffentlichkeit kein Wort. Eigentlich müsste der Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW sagen: „Wir schaffen oder können das nicht, was die Polizei von uns verlangt. Die Ansprüche überfordern uns!“

Ist es tatsächlich so wie der Polizeipräsident die Kündigung begründet? Mir kommen da Zweifel und Fragen auf. Gilt das für alle Dienststellen? Vielleicht für die Einsatzleitstelle und Führungsräume, aber auch für das Polizeigewahrsam, die Kripodienststellen und die vielen Führungsstäbe? Wie wäre es denn, wenn die zuständige Polizeiinspektion wieder ins Präsidium ziehen würde, nahe am Einsatzgeschehen in Rüttenscheid, Holsterhausen und Frohnhausen? Mit dem jetzigen Plan würde sich die Polizei vom Bürger entfernen und die gute Einsatzlage aufgeben. Wie sind die Verhandlungen zwischen Mieter und Vermieter gelaufen? Man hört von Unstimmigkeiten. Was kostet der Auszug und eine Neuanmietung?

 

Stille. Vom Polizeibeirat der Stadt Essen als Bindeglied zwischen Polizei und Bürger kein Wort. Die großen Kommunalparteien (SPD, CDU, Grüne)schweigen. Was sagt das NRW-Innenministerium als oberster Dienstherr der Polizei dazu? Schweigen. Anfragen werden nicht beantwortet. Selbst der ehemalige Polizeipräsident von Essen und Düsseldorf Michael Dybowski, der sich gegen einen Auszug positioniert hat, kriegt keine Antwort. Von der Dienst- und Fachaufsicht des Finanzministerium hat die Öffentlichkeit auch noch nichts gehört. Erst nachdem die Tageszeitungen berichteten,  begründete der Behördenleiter Frank Richter die Mietkündigung im sozialen Netzwerk Facebook. Presse, Rundfunk, Fernsehen blieben außen vor.

Polizeipräsidium Obehausen

 Erst Essen und dann auch noch die Polizeibehörden in Duisburg, Bochum und Oberhausen. Auch die Polizeipräsidenten möchten ihre historischen Gebäude verlassen und sich aus ihrer Geschichte verabschieden. Oder haben sie eine „moderne Liegenschaft“ wie in Essen im Auge? Voll klimatisiert, hell, Baukastenformat in Beton und Glas. Angeblich haben sich die Amtskollegen an der Theodor-Althoff-Str. 4 im Zweitsitz von Frank Richter die Klinke in die Hand gegeben.

 

Mein Fazit:  Das Milliardenunternehmen BLB NRW ist offensichtlich nicht in der Lage, alte intakte, historische Gebäude für eine moderne Polizeiarbeit umzugestalten. Mit dem Auszug aus den alten Gebäuden werfen die Behörden einen Teil ihrer Identität und Geschichte über Bord. Es geht um mehr als nur Geld. Es geht um Historie, Identität und das Kerngeschäft „Einsatz für den Bürger“.  Aber das haben manche Entscheider nicht in ihren Plänen. Eine Führungskraft wird wie folgt zitiert: „Der Behördenleiter möchte seine Führungsmannschaft nahe beisammen haben – alles unter einem Hut. Und das im digitalen Zeitalter, wo ruckzuck eine Schalte möglich ist? Welchen Wert hat das Thema Geschichtsdefizite und Fehlentwicklungen innerhalb der Polizei?

Ich stelle mir vor, die Bundesregierung hätte den Reichstag in Berlin auch so behandelt. Weg mit dem alten Kasten, wir wollen ein modernes Gebäude – die Geschichte des alten Baus interessiert nicht. Umgestaltung zu teuer und nicht möglich. Den Aufschrei hätte man bis nach NRW gehört. Und in Essen ruht der See.

Polizeipräsidium Mülheim

 P.S. 2007 wurde das Stadtgebiet Mülheim a. d. R. dem Polizeipräsidium in Essen zugeordnet. Die eigene Polizeibehörde verlor ihre Selbstständigkeit. Das historische Polizeipräsidium an der Von-Bock-Straße, 1937 errichtet und jetzt Dienstsitz von verschiedenen Dienststellen, wie dem Staatsschutz und der Hauptwache, soll ebenfalls „abgemietet“ werden. Es wäre dann im Ruhrgebiet das fünfte historische Polizeigebäude, das dem BLB NRW „geopfert“ würde.

 

20.7.2022

Samstag, 9. Juli 2022

Schon vergessen?

 

Es wird immer schlimmer. Diesen Satz liest man häufig in den sozialen Netzwerken. Stimmt nicht, es war immer schon schlimm. Die Menschheitsgeschichte begann laut der Bibel mit einem Brudermord. Ein Satz, der ebenfalls häufig in den sozialen Netzwerken strapaziert wird: „Wir müssen nach vorne gucken.“  Manchmal hilft auch ein Blick nach hinten, um Zusammenhänge zu verstehen und richtig einzuordnen.

So mag ich besonders die letzte Seite meiner NEUEN RUHR ZEITUNG (NRZ). Vor 50 Jahren, heißt es dort in jeder Ausgabe. Noch weiter in die Vergangenheit taucht meine Wochenzeitung „Werdener Nachrichten“, die älteste Zeitung im Ruhrgebiet, ein. In ihr werden Sachverhalte abgedruckt, die bereits vor hundert Jahren geschehen sind.

Folgenschwerer Familienzwist. In der Nacht zum Samstag kam es in einem Hause an der Brandstorstraße zu Zwistigkeiten. Der Vater misshandelte die Familienmitglieder, insbesondere eine Tochter schwer. Später stürzte er selbst so unglücklich zu Boden, dass er tot liegen blieb. Er wurde der Leichenhalle , die Tochter dem Krankenhaus zugeführt.“ (Werden 27. Mai 1922)

Werkzeug gestohlen. Gestohlen wurde an der Baustelle Ernst -und Lindenbecker Straße, aus der Baubude von Hülsmann allerlei Handwerkszeug wie Sägen, Äxte und Hämmer. Der Bestohlene setzt auf Ermittlung der Täter eine Belohnung aus“ (Werden 27. Mai 1922)

Im Schlaf überfallen und verprügelt. Am Mittwochabend ist in einem Hause der Kölner Straße, ein Mann im Bette liegend von einem Mitbewohner des Hauses, nachdem der Täter in dessen Zimmer eingedrungen, schwer verprügelt worden. Der Angegriffene hat in der Notwehr zum Messer gegriffen und seinem Gegner einen Stich in den Hals beigebracht. (Werden, 26. Mai 1922)

Verkäuferinnen als Geisel. Dramatische Stunden am Freitagabend in Karlsruhe: Ein 28 jähriger Mann verschanzte sich nach einem Überfall auf einen Strickwarengeschäft mit einer Verkäuferin als Geisel in dem Laden, den ein großes Polizeiaufgebot umstellte. Fünfeinhalb Stunden nach dem Überfall verließ der 28 Jährige nach Angaben der Polizei das Geschäft durch einen Hinterausgang. Die Geiseln ließ er zurück. Der Polizeipräsident hatte diesen Abgang mit dem Täter vereinbart. Der Täter hatte kurz vor Ladenschluss das Geschäft betreten und mit vorgehaltener Pistole 720 DM gefordert.“ (NRZ, 1. Juli 1972)

Feme -Morde erschrecken Nordirland. Sieben Tote in drei Tagen – „Volks-gerichtsprozesse“ durch Protestanten. Belfast. Die neu aufgeflammten Feindseligkeiten zwischen den Extremisten Nordirlands haben in den vergangenen drei Tagen sieben Menschen das Leben gekostet. Fünf davon wurden durch Kopfschüsse umgebracht. (NRZ, 4. Juli 1972)

1964 Verkehrstote bis Juni in NRW (NRZ 6. Juli 1972)

Nach drittem Mord GroSSfahndung bei Aachen. Zwei Tage nach dem Doppelmord im Stolberger Wald bei Aachen ist gestern einige Kilometer vom Tatort entfernt erneut ein Mann erschossen aufgefunden worden. Die Polizei sie leitete eine Großfahndung mit Hubschraubern und Suchhunden nach dem mutmaßlichen Todesschützen ein. (NRZ 6. Juli 1972)

Fortsetzung folgt…