Dienstag, 26. Oktober 2021

Totenstille im Viertel

Essen-Bedeney wird im Volksmund häufig als Stadtteil der Schönen und Reichen bezeichnet. Wer hier wohnt hat es geschafft. Also, rein finanziell. Das klassische Nord-Süd-Gefälle einer Industriestadt. Schon Alfred Krupp zog es im 19. Jahrhundert in den Süden, der damals noch gar nicht zum heutigen Statgebiet gehörte. Der Industrielle baute seine Villa mit sage und schreibe 269 Zimmern auf den Ruhrhöhen, um von dem größten Einfamilienhaus Deutschlands aus mit Pferd und Wagen zu seinen Fabriken nach Altendorf über die heute nach ihm benannte Alfredstraße (B224) zu fahren oder zu reiten. Begraben wurde der Kanonenkönig und seine Familie dann doch eher wieder nördlich, nahe dem Hauptbahnhof am Rande der Innenstadt.

Die Ruhestätte von Friedrich Alfred Krupp

Und dann zogen alle wieder zurück. Unfreiwillig. Der Friedhof musste der neu gebauten Bundestraße 1 – heutigen A40 – weichen, die sich nun quer von West nach Ost durch das Stadtgebiet zog. 

Die Gräber von Margarethe - Friedrich Alfred und  Vater Alfred Krupp

Ein Totengräber namens Engel (!) brachte die Gebeine der Krupps nach Bredeney auf den geschichtsträchtigen Friedhof an der Westerwaldstraße. Beste Lage. Hier liegen sie nun wie Könige in ihren imposanten Gräbern. Wieder auf einem umzäunten Friedhof im Friedhof. (Mein Tipp für Touristen).

Und rings herum im Stadtteil ist es auch still. Kaum eine Menschenseele zu sehen, der Autoverkehr dürftig, keine Geschäfte, keine Kneipen und ganze viele freie Parkplätze entlang der Anliegerstraßen. Die Limousinen der Hausbesitzer parken meist auf dem eigenen Grund und Boden - offen oder in Garagen versteckt. Meist stehen die Mittelklassefahrzeuge der Dienstleister im öffentlichen Verkehrsraum.

Eine Villa im Viertel
Hier leben tatsächlich die Reichen der Region. Einige Villen - meist videoüberwacht - sehen eher wie Museen aus. Weiße große Flächen und kleine Fenster zur Straßenseite hin. Wohnwärme und Atmosphäre stelle ich mir anders vor.

Ein typische Bild - leere Straßen
1994 dachten zwei Brüder, wer hier hier herumläuft muss reiche Eltern haben. Sie griffen sich gewaltsam ein Mädchen, das aus der Siedlung auf dem Weg zur Bushaltestelle war. In diesem Fall irrten die Entführer gewaltig. Manuela war „nur“ die Tochter eines Hausmeisters, der allerdings bei einem der bekanntesten Unternehmer Deutschlands beschäftigt war. Zwei Wochen war die 14-Jährige in der Ruhrtalbrücke der A52 eingesperrt. Nach ihrer zufälligen Befreiung durch Autobahnbedienstete gingen die Entführer der Polizei ins Netz. Ein Fall der Essener Kriminalgeschichte, der später auch als Vorlage für einen „Tatort“ diente.

 

Das städt. Kinderheim der Funkestiftung

Und noch einmal zog es Gangster in die Westerwaldstraße. In der Silvesternacht 2006 klauten sie während der Knallerei aus einer alarmgesicherten Villa eine Picasso-Grafik, das Bild "Seeblick" des flämischen Malers Bonaventura Peeters und das Original „Landschaft mit blauen Bergen und See“ der Malerin Gabriele Münter. Die Hausbesitzer befanden sich in der Schweiz.

Eine der prominentesten Ruhestätten von Theo Albrecht
Die endlose Ruhe im Viertel wird manchmal durch Kinderlachen durchbrochen. Es kommt vom städtischen Kinderheim der Funkestiftung. Wenn das Kreischen und Lachen der Kleinen aufhört, herrscht in diesem Gebiet wieder Totenstille. Eben - wie auf dem angrenzenden Friedhof.

Mittwoch, 13. Oktober 2021

Der Nutriaflüsterer am Fluss

Diese kleinen knuddeligen Tiere kennen die Spaziergänger von der Ruhr. Kommt man ihnen zu nahe, tauchen sie flugs ab. Hunde mögen sie gar nicht. Es sind Nutrias, auch Biberratten genannt. Ursprünglich stammen sie aus Südamerika. Nach Europa importiert wurden sie wegen ihres Fells, als Pelzetragen noch en vogue war.  Zunächst in Käfigen als Nutztiere gehalten, sind einige von ihnen ausgebüxt und mittlerweile in vielen Gewässern hier heimisch geworden.

Der Nutriaflüsterer mit Susi
Was wir heute bei unserer Gassirunde mit Emmi an der Ruhr sahen, war das Gegenteil von scheu. Gemütlich saß eines dieser putzigen Tiere auf den Knien eines Radfahrers und mümmelte genüsslich Möhren- und Apfelstücke vor sich hin. Susi, die erst vor zwei Tagen ihre Jungen bekommen hat, braucht Kalorien, erzählte mir der Mann mit dem langen Haarzopf und Bart. Als plötzlich eine zweite Nutria auftaucht. Ein bisschen pummeliger. Susi, so ihr Name, ist trächtig. Vielleicht ist sie deshalb ein wenig schüchtern. Diese Familiengeschichte erzählte mir der Radler.

Susi erwartet in Kürze Nachwuchs
 Vor Monaten hat er zufällig Nutrias am Fluss, der unserer Region den Namen gab, gesehen. Sie faszinierten ihn. Er setzte sich ans Ufer und tat eigentlich nichts. Nur gucken. Und dann wurden die Nutrias immer zutraulicher. Als er unter einem Apfelbaum saß und ein Apfel ins Gras fiel, hatte er den ersten Körperkontakt mit einer Nutria. Und so brachte er Tage später die Nahrung mit zur Ruhr. Es dauerte nicht lange, da kannte der Kupferdreher die ganze Familie. Sie aßen ihm die mundgerechten Stücke aus der Hand und ließen sich kraulen. Einer hatte es ihm besonders angetan. Max, war besonders anhänglich. Schon wenn er ankam und seinen Namen rief, kam Max aus dem Wasser. Leider ist Max vor wenigen Tagen gestorben. Der Mann sagte, dass er ihn leblos aus dem Wasser zog. Jetzt ist wieder Nachwuchs da oder im Anmarsch. Von Tina und Susi. Und auch sie warten täglich schon auf ihren Freund. Wenn er mit seinem Rad ankommt, den Ständer ausfährt, sind sie da.

Die Geschichte gibt es auch in bewegten Bildern auf Youtube: "Nutria an der Ruhr" - Teil 1 bis 78



Freitag, 1. Oktober 2021

"Hilfe, Polizei"

 1.10. Na, sagt euch das Datum etwas? Erster Tag im Oktober? Beginn der Heizperiode? Herbstbeginn? Alles falsch. Heute ist „Tag des Notrufs 110“.

Zugegeben die Zeit der Polizeimelder (Foto), die überall im Stadtgebiet als Rufsäulen standen oder in der kleineren Version an den Hauswänden hingen längst vorbei. Ich habe sie aber noch in meinen Anfangszeiten bei der Polizei erlebt. Handys gab es noch nicht und nicht jeder Haushalt hatte ein Telefon. Wie sollte man also schnell die Polizei im Notfall informieren? Man rannte zum nächsten Polizeimelder und berichtete über eine Telefonstandleitung über das Geschehen.

Frau drückte den Hebel und bat um Hilfe
Der Notruf ging auf der nächsten Polizeiwache ein. Ein Streifenwagen wurde entsandt. Aber oft wurden die Melder auch missbraucht, für dumme Sprüche bis hin zu Beleidigungen. Der am meistgenutze Polizeimelder in „meinem Bereich“, dem Schutzbereich I (jetzt Polizeiinspektion 1) in der Essener Stadtmitte, hing an der Häuserwand an der Segerothstraße/ Nordhoffstraße. Die Insider wissen schon warum. In der Nähe befindet sich das, wie man früher sagte, Dirnenwohnheim. Für uns war es der Puff in der Stahlstraße. Da war rund um die Uhr was los. Besonders wenn es am Anfang des Monats Geld gab („Lohntütenball“). Und viele Freier, die meinten, sie wären von den Damen des ältesten Gewerbes übers Ohr gehauen wurden, baten über den Melder um polizeiliche Hilfe.

Heute hat jeder ein Handy in der Tasche. Und wenn es mal irgendwo im Verkehr bumst, gehen zahlreiche Anrufe auf der Einsatzleistelle ein. Manchmal sogar zu viele.

Einsatzleitstelle in den 70er-Jahren - Foto: IPA Essen

Viele Polizeibehörden veranstalten heute den „Twitter-Marathon“ und berichten vom Arbeitsalltag

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