Meine erste Leiche habe ich auch nicht vergessen. 18.
September 1972. Die Leiche war ein Mann, hieß Josef P., 53 Jahre alt und hing
im Türrahmen. Gefunden von seiner jüngeren Schwester Irmgard. Welch ein
Anblick.
Auch für mich. Ich war 19 Jahre alt. Polizeihauptwachtmeister.
Noch nicht volljährig. Einen Toten hatte ich zuvor noch nie gesehen, weder
privat noch dienstlich.
An diesem grauen Regentag fuhr ich mit meinem
Streifenführer, Polizeiobermeister Hans W., den Funkstreifenwagen Gruga 11/12
des Schutzbereichs I („Gerlingwache“). Gegen 10.00 Uhr erhielten wir den
Einsatzauftrag: „Fahren Sie zur Herwathstraße. Ein Mann hat sich aufgehängt.“ Der
Arzt und die Todesermittler vom 1.Kommissariat wurden gerufen. Das erledigte
mein Kollege, Polizeiobermeister Hans W., vom Streifenwagen über Funk aus. Er
ließ mich alleine mit dem Verstorbenen in der Wohnung zurück. Ich sah den
Erhängten immer wieder an, wie er dort im Rahmen leicht schaukelte. Und später
musste ich dem Kripokollegen noch beim Abschneiden des Verstorbenen helfen.
„Pack mal mit an Junge“, sagte er kurz. Was blieb mir anderes übrig. Direkter Körperkontakt mit dem Erhängten. Josef
wohnte bis kurz vor seiner Selbsttötung mit seiner Mutter zusammen. Seine
Schwester erzählte, dass er ihren Tod nicht verwunden habe. Jetzt waren sie
wieder zusammen.
Nach dem Dienst fuhr ich auf direktem Weg nach Hause. Mein
erster Gang war unter die Dusche. Das machte ich sonst nie.
Später kamen noch einige Tote hinzu: Unfall-, Brand und
Mordopfer, Selbstmörder oder einfach so Verstorbene. Aber „meinen Josef“ habe
ich nach über 44 Jahren immer noch vor Augen. Als wenn es gestern gewesen wäre.
Infos: „Die erste Leiche vergisst man nicht“, Taschenbuch,
erschienen im Piper-Verlag, 9,99 Euro, 5 Sterne… oder www.polizei-poeten.de
(c) uk-Foto: Die "Gerlingwache", damals Schutzbereich I, am Rande der Essener Innenstadt. Heute befindet sich eine Außenstelle der Uni in dem Gebäude, nach jahrelangem Leerstand.
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