Freitag, 17. Dezember 2021

Weyerlinge

Die Älteren kennen sie noch - die „Weyerlinge“. Diese Bezeichnung für lebensältere Kollegen Ende der 1960er-Jahre hielt sich lange Jahre bei der Polizei. Später kamen noch die „Wanniger“ hinzu. Aber das ist ein anderes Thema.

Gerade nach dem Zechensterben im Ruhrgebiet wurden viele „Weyerlinge“ eingestellt, aber auch aus anderen Arbeitsverhältnissen gingen gestandene, berufserfahrene Männer zur Polizei.  Der unfreiwillige Namensgeber für sie war der damalige NRW-Innenminister Willi Weyer, der für die Anstellung und verkürzte Ausbildung sorgte. 

Innenminister Willi Weyer (rechts) bei einer Sportlerehrung im PSV-Heim
Ich habe noch mit einigen Dienst versehen. Gerne. Einer von  ihnen war Nick T.,  mindestens 190 cm groß, fast zwei Zentner schwer, mit Händen groß wie „Pannschüppen“. Wo er hinlangte, wuchs kein Gras mehr, hieß es auf der „Gerlingwache“. Bei Kneipenschlägereien - gibt es heute gar nicht mehr - herrschte Ruhe, wenn Nick auftauchte. Mit ihm fuhr jeder gerne auf Streife. Unter den „Weyerlingen“ befanden sich auch welche, die nicht so gerne an der Schreibmaschine saßen. Aber diese Schlitzohren waren mit allen Wassern ihrer Lebenserfahrung gewaschen. An einige Sprüche kann ich mich noch gut erinnern. Walli N. zu mir: „Junge, Du schreibst, ich schlag. Ein anderer: “Pass mal auf! Dein Schulbankwissen kannste mal ganz schnell hier vergessen“, als ich anmerkte, dass ein A-Unfall doch nur bis zur geschätzten Schadenssumme von 1000 Mark gelte. Oder: „Wenn ich mit einem Bürger spreche, hälst Du dich schön geschlossen. Ist das klar?“ Der ehemaliger Bergmannsknappe und gebürtige Berliner Atze: „Jetzt zeige ich dir, wie ich aus einem Vorgang drei Tätigkeiten mache. Ein Parkverstoß gleich zwei Zahlkarten und eine Owi (Anmerkung: Ordnungswidrigkeitenanzeige).“ Die Verkehrswissenschaftler Meier, Stiefel, Jacoby lassen grüßen. Sie erklärten der Polizeipolitik damals auf Kosten der Autofahrer, was zu tun sei, um Verkehrsunfälle zu vermeiden. Und viele Kollegen schraubten so an ihrer Karriere und sangen gerne die Stille-Nacht-Textzeile des Weihnachtslieds ("Gottes Sohn, o wie lacht") textlich abgewandelt in: "Owi lacht." Und wer sich nicht an die Vorgaben hielt, wurde gescholten („Schimpferlass“). Es wurde alles verkehrstechnisch auf vier Rädern gejagt, was nicht schnell auf die Bäume kam. Unser erster Wach- und Einsatzleiter (WE) entließ uns im Nachtdienst immer mit dem Spruch: „Wir sind heute wieder blutrünstig.“

Jetzt las ich in der NRZ-Rubrik „Heute vor 50 Jahren“ einen Artikel, in dem der Innenminister Willi Weyer erwähnt wurde. In Duisburg traf der FDP-Politiker die Polizeifamilie von Kriminalhauptmeister a. D. Herbert Querhammer. Seine vier Söhne gingen zur Polizei. Ich stamme ebenfalls aus einer Polizeifamilie mit vier Jungs. Von uns gingen nur zwei zur Polizei. Der eine als Quereinsteiger zur Kripo, ich durchlief die normale Ausbildung, 1 Jahr Grundlehrgang Bork, 1 Jahr Bereitschaftspolizei Bork, ein halbes Jahr Praxis  als „Oberwachtmeister im Einzeldienst“ in Essen, Anstellungslehrgang in Stukenbrock. Hauptwachtmeister. Fertig. Damals noch nicht volljährig, aber mit allen Möglichkeiten der staatlich legitimierten Gewaltanwendung ausgestattet - bis hin zum Schusswaffengebrauch.  Auf Familienfeiern, gab es immer eine Menge zu erzählen, besonders wenn es um die Besonderheiten von Schutzpolizei (S) und Kriminalpolizei (K) ging. Später kam mein Sohn Axel noch als Düsseldorfer Schutzmann hinzu.

Mein Vater Walter Klein (Bildmitte) mit Kollegen in der Schalker "Glückaufkampfbahn"

Mein Vater arbeite nach seiner Zeit im Einzeldienst auf der Sani-Stelle. Er betonte immer, dass das polizeiärztlicher Dienst hieße. Im Krieg war er Sanitäter bei der Marine auf der „Deutschland“ und mit ihr auch untergegangen. Die „Weyerlinge“ wurden in den einzelnen Behörden auf Polizeidiensttauglichkeit ärztlich untersucht und eingestellt. Bei einem schaute mein Vater großzügig über ein Handicap weg, weil der Bewerber im Polizeisportverein Handball spielte und sein Vater ebenfalls Polizist war. Manfred K. war nachtblind. An anderer Stelle berichtete ich davon, dass bei mir ein Zentimeter an der Mindestgröße fehlte. Auch dabei hatte mein Vater die Hände im Spiel. Er kannte den Kollegen der Sani-Stelle in Essen am Maßband sehr gut. Dem will ich jetzt aber keine Blindheit vorwerfen. Er hat eben großzügig geguckt.

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