Samstag, 11. April 2020

Kriminaloberrat und Theologe - ein Zwiegespräch

Es ist die Osterwoche 2020. Zurzeit ist das gesellschaftliche Leben in Deutschland wegen der Corona-Pandemie eingeschränkt. Ich sehe mir die Passionsandacht aus der Essener Auferstehungskirche im Internet an? Ganz zufällig eigentlich. Die knapp 10 Minuten tun mir gut, zumal ich an diesem Tag erfahren habe, dass ein Freund gestorben ist. Auf der Kanzel steht ein Mann in seiner Berufskleidung. Er trägt einen schwarzen Talar und eine weiße Halsbinde. „Beffchen“ heißt dieses Stück am Hals. Ein Pfarrer hält die Predigt, glaubt der unbedarfte Zuschauer. Ich zunächst auch. Aber bei genauem Hinschauen erkenne ich ihn. Der Mann auf der Kanzel ist mein Polizeikollege und Mitglied der International Police Association (IPA) Colin B. Nierenz. Wie kommt ein Polizist an diesen Ort? Darüber habe ich mit ihm gesprochen. Der 43-Jährige ist mit der künstlerischen Leiterin der Essener Philharmonie Babette Nierenz verheiratet. Das Ehepaar hat drei Kinder.

Colin, zwei interessante Tätigkeiten führst Du aus. Du bist im Hauptberuf Polizeibeamter in einer Führungsfunktion und im Ehrenamt evangelischer Geistlicher. Wie geht das zusammen?
Grundsätzlich ist es wichtig, die beiden Ämter zu trennen. Denn im Polizeidienst habe ich mich religiös neutral zu verhalten und als Seelsorger stehen andere Dinge im Mittelpunkt, als im Polizeidienst. Doch beide Ämter beeinflussen sich aus meiner Sicht gegenseitig positiv. Als Polizist habe ich gelernt, mit Krisen umzugehen. Dieses Wissen kommt mir als Seelsorger zu Gute, wenn ich mit Menschen in Lebenskrisen spreche. Umgekehrt ist es in so manchem Gespräch mit Mitarbeitern  sehr von Vorteil, wenn man mal das Ohr des Seelsorgers einschaltet und Probleme aus dieser Sicht betrachtet.

Erzähl uns ein bisschen über dich. Warum bist Du Polizist geworden?
Ich habe 1993 mit 17 Jahren bei der Polizei angefangen, weil ich gerne einen für die Gesellschaft wichtigen Beruf ergreifen wollte. Mir war und ist wichtig dazu beizutragen, dass die gesetzlichen Grundlagen in unserem Land eingehalten werden, damit die größtmögliche Freiheit jedes Menschen möglich ist und damit wir in Frieden und Sicherheit leben können.

Wie ist die Reaktion Deiner Polizeikolleginnen und -kollegen, wenn sie von deinem ehrenamtlichen Engagement erfahren?
Manche sind zurückhalten, aber auch viele interessiert. Ich vermeide im Dienst grundsätzlich jede missionarische Tätigkeit. Wenn jemand mich fragt, spreche ich gerne mit ihnen über Religion und  Glauben. Aus solchen Gesprächen entstehen manchmal auch konkrete Folgen und theologische Aufgaben. Das freut mich besonders. So habe ich schon einige Kolleginnen und Kollegen getraut oder ihre Kinder getauft, zweimal eine Kollegin und  einen Kollegen bei ihrem letzten Weg begleitet und sie beerdigt. Das war für mich eine besondere emotionale Herausforderung.

Wie wird man Prädikant und was machst Du in dieser Funktion?
Die Gemeindeleitung (Presbyterium) kann Gemeindemitglieder, die sie für geeignet hält, zur Ausbildung entsenden. Die Ausbildung dauert zwei Jahre und wird von der Landeskirche durchgeführt. Anschließend gibt es eine Abschlussprüfung. Nach der Prüfung wird man dann in seiner Gemeinde in einem Gottesdienst ordiniert und damit in die Dienstgemeinschaft der Geistlichen aufgenommen. Ich halte jeden Monat den Kindergottesdienst und einen Hauptgottesdienst. Daneben führe ich Seelsorgegespräche und führe Taufen, Trauungen und Beerdigungen durch.
Mit Polizeipräsident Frank Richter (rechts)


Was hat dich dazu gebracht, etwas für das Seelenheil der Menschen zu tun? Gab es einen Anlass?
Ich habe im Gottesdienst vorher öfter die Lesungen gehalten. Dabei habe ich immer den Impuls gespürt, dass ich mehr machen sollte. Mein Pfarrer, der auch ein guter Freund von mir ist, hat das auch gespürt und mich gefragt, ob ich nicht Prädikant werden möchte.

Wie reagieren die Menschen, wenn sie erfahren, dass Du gar kein „richtiger“ Pfarrer bist und dann noch, was Du eigentlich beruflich machst?
Die meisten sind sehr aufgeschlossen und freuen sich, dass auch jemand da ist, der noch einen anderen Beruf hat und seine Erfahrungen einbringt.

Der Polizist und Theologe kommt in Bereiche, die für andere verschlossen bleiben. Zumindest kommt er nicht so nah dran wie wir. Ausgenommen natürlich im familiären Kreis, wenn jemand stirbt. Wie ist dein Verhältnis zum Sterben und Tod?
Mir wird bei jedem Sterben bewusst, wie groß der Schmerz der Angehörigen ist und wie wichtig es ist, für die Menschen in dieser Situation da zu sein. Für uns Christen ist der Tod nicht das Ende, sondern der Beginn des ewigen Lebens. Damit können wir den Angehörigen Zuversicht geben. Die Beerdigung ist dann nicht nur ein Bericht über das Leben des Verstorbenen und dann Klappe zu und Ende. Die Beerdigung ist aus christlicher Sicht auch immer ein gemeinsamer Blick in die Zukunft und darauf, wie es weitergehen kann.  

Gibt es neben denen Haupttätigkeiten noch andere Leidenschaften oder Hobbies?
Meine Frau Babette und ich haben drei Kinder, mit denen wir uns viel beschäftigen. Darüber hinaus laufe ich sehr gerne und bereite mich gerade wieder auf einen Marathon vor. Ein gemeinsames Hobby unserer gesamten Familie ist Musik. Wir singen gerne zusammen und wenn es die Zeit erlaubt, treten meine Frau Babette am Klavier und ich als Udo Jürgens-Interpret auf.

Wir durchschreiten zurzeit eine schwierige Zeit. Ich meine natürlich die Corona-Krise. Und wir befinden uns in der Osterwoche, steuern auf das Fest zu? Für Christen ein ganz besonderes. Was möchtest Du den Menschen aus theologischer, vielleicht auch aus persönlicher Sicht mitteilen? Hast Du einen Rat?
Wir sollten aufmerksam und besonnen bleiben. Aus christlicher Sicht möchte ich den Menschen den österlichen Ruf Jesu mitgeben: „Fürchtet Euch nicht!“. Jesus hat den Tod überwunden. Er steht uns auch in der Coronakrise bei. Jeder ist eingeladen, Jesu Kraft für sein Leben zu suchen. „Wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.“ (Matthäus 7,8)

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