Dienstag, 27. November 2018

Teurer Stinkefinger


Weil er einem Polizisten in der Gemeinde Hürtenwald in der Nähe von Düren den „Stinkefinger“ gezeigt hat, wurde jetzt ein Autofahrer vom Amtsgericht  wegen Beleidigung zu 1200 Euro Geldstrafe verurteilt. Beim Vorbeifahren an einer Geschwindigkeitsmessstelle des Verkehrsdienstes machte der 45-Jährige diese respektlose Geste. Dabei war seine Aufregung ganz umsonst. Die Polizei: "Er habe sich geärgert und geglaubt, wegen zu hoher Geschwindigkeit erwischt worden zu sein.“ Irrtum. Dem war nicht so. Dümmer als die Polizei erlaubt, könnte man seinem Verhalten noch beifügen. Mein Dank geht an den Richter beim Amtsgericht Düren.

Sonntag, 11. November 2018

100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg - Wie Opa Willi den Krieg überlebte


Eigentlich verdanke ich mein Leben einem Regimentsarzt im 1. Weltkrieg. Ohne ihn gäbe es mich nicht. Also, im weitesten Sinne. Die folgende Geschichte hat mir mein Großvater zig Mal erzählt. Meist hörte ich sie sonntags im Bett, während Oma in der Küche das Frühstück zubereitete und jedes Lied im Radiogottesdienst textsicher laut mitschmetterte. („Ein feste Burg ist unser Gott“). Opa Willi war junger Soldat im 1. Weltkrieg. 21 Jahre alt. Eingezogen im Dezember 1914 als Schütze in das Garde-Schützen-Bataillon in Berlin-Lichterfelde. Darauf war er sein Leben lang stolz.
Der erste Weltkrieg dauerte da schon ein halbes Jahr. Opa war auf den Kriegsschauplätzen in Frankreich und Russland eingesetzt. In den Schützengräben lagen sich die Soldaten auf Rufweite gegenüber. Nahe Popeljany im Osten traf ihn eine Kugel ins linke Schulterblatt, drang in den Körper ein und blieb im Lungenflügel stecken. So wusste ich schon als Steppke, was ein Lungensteckschuss ist. Eigentlich der sichere Tod. Und so landete Opa Willi auch bei den auf dem Schlachfeld eingesammelten Gefallenen. „Gestorben für Kaiser und Vaterland“ hätte in der Benachrichtigung für seine Eltern gestanden. Hätte.
Ein Regimentsarzt musste jedoch vor dem endgültigen Aus und dem Verscharren in riesigen Massengräbern, die Gefallenen, aufgebahrt in Reih und Glied, noch im Schnelldurchgang in Augenschein nehmen. Opa röchelte genau in dem Moment, als der Arzt in seiner Höhe war. “Der lebt noch, ab mit ihm ins Lazarett“, vernahm Schütze Wilhelm Distelrath noch. Das geschah am 26. April 1916. Mein Opa überlebte. Die so genannte Schrabnellkugel, der tödliche Inhalt einer Granate, hatte er zur Erinnerung behalten. Ein Mordsding in meinen kindlichen Augen. In seinem Pass stand bis zu seinem Tod als besonderes Kennzeichen: Narbe am linken Schulterblatt. Für den 2. Weltkrieg war mein Großvater zu alt, obwohl in seinem Nachlass noch ein Wehrpass zu finden ist. Bedingt kriegsverwendungsfähig steht darin. Opa Willi führte ein bescheidenes, zufriedenes Leben als Eisenbahner, war über 65 Jahre mit Oma Lina verheiratet und starb im hohen Alter von 96 Jahren.


Freitag, 9. November 2018

Novemberpogrome vor 80 Jahren – „Freund und Helfer“ als Mittäter


Ich schäme mich für meinen Berufsstand. Zumindest für die Zeit von 1933 bis 1945. Die Polizei war Teil des mörderischen Staatsapparates. „Ich bin in Blut gewatet“, sagte mir mal ein älterer Kollege, mit dem ich 1972 als junger Schutzmann im Kamerawagen des Verkehrsdienstes saß. Einfach so. Wollte er etwas los werden. Ich war mit meinen 19 Jahren zu jung oder zu dumm, um nachzufragen. Ein anderer erzählte, dass er bei Erschießungen im Gefängnishof dabei gewesen war. „Aber nur als Zeuge“, betonte er ausdrücklich. Auf der Borbecker Wache arbeitete ein Polizist, der offen mit der Zugehörigkeit zur Waffen-SS prahlte. Jedes Jahr trafen sich die alten Kameraden. Kein Vorgesetzter zügelte ihn. Das war 1976. Von der Polizeikaserne an der Norbertstraße startete das Reserve-Polizeibataillon 67, das an Deportationen und Erschießungen tausender Menschen in Polen beteiligt war. Sie und ihre Prügelknechte quälten und prügelten mich erbarmungslos im Polizeipräsidium.“ Zitat eines Festgenommenen. In seiner Verzweiflung sprang er aus dem 2. Stock des Polizeigebäudes. Die Essener Polizei hat ihre schäbige Rolle im so genannten Dritten Reich nie aufgearbeitet.
Auch nicht bei ihrem 100. Jubiläum im Jahre 2009. Da wurde von der Polizeipräsidentin eine historische Chance vertan. Das sagte einer ihrer Vorgänger am Ende des Festaktes. Deutsche verfolgten, deportierten und ermordeten Landsleute oder Ausländer im Dritten Reich. Nur weil diese einen anderen Glauben hatten oder nicht in ihr Weltbild passten. Der „Freund und Helfer“ schaute weg oder machte kräftig mit. „Als Nazischergen die Essener Synagoge am 9. November 1938 anzündeten, befanden sich hohe Polizeioffiziere und Mannschaftsdienstgrade unter den Gaffern. Ich habe heute einige „Stolpersteine“ in Essen-Werden fotografiert. Drei davon befinden sich auf dem Schulhof des Werdener Gymnasiums. Auf einem steht der Name Felix Steeg, der sich im Juni 1939 im Alter von 45 Jahren in bedrängter Situation im Polizeipräsidium das Leben nahm. Und in diesem Gebäude habe ich über 20 Jahre gearbeitet. Ich schäme mich.

Donnerstag, 8. November 2018

Polizeischule - update

Durch behördliche Fehleinschätzung in der Vergangenheit wird die ehemalige Polizeikaserne und Polizeischule aufgegeben. Für mich nach wie vor ein Skandal. Jahrelang wurden keine Sanierungsmaßnahmen an der denkmalgeschützten Immobilie vom Eigentümer BLB (Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW) vorgenommen. Trotzdem bezahlte die Essener Polizei Millionenbeiträge an Miete. Bis der amtierende Polizeipräsident Frank Richter die Reißleine zog. Der ideale Standort für die Polizei musste aufgegeben werden. Ein Umzug in die nahegelegene Karstadt-Hauptverwaltung ist beschlossene Sache. 2019 sollen die Kisten gepackt werden. Jetzt berichtet die Neue Ruhr Zeitung (NRZ), dass der Termin wahrscheinlich nicht eingehalten werden kann. https://www.nrz.de/staedte/essen/vermarktung-der-alten-polizeischule-in-essen-wird-geprueft-id215728713.htm Info: Die Hauptgebäude im Bauhaus-Stil wurden Anfang der 1930er-Jahre gebaut, zunächst für geschlossene Einheiten. Eine wechselhafte Nutzung schloss sich an.

Mittwoch, 7. November 2018

Allison (14): Ik heb Kanker - Ich habe Krebs

Ich kenne Allison noch mit kahlem Kopf. Da wohnte sie im letzten Jahr mit ihren Eltern Marianne und Erik im Hundertwasserhaus der McDonald’s Kinderhilfe im Grugapark. Jeden Tag musste sie zur Bestrahlung ins nahegelegene Protonenzentrum. Der dunkle Wuschelkopf auf dem Foto von heute täuscht. Das 14-jährige holländische Mädchen ist schwer krank. Krebs. Seit Jahren kämpft der junge Körper gegen diese tückische Krankheit. Eine hochdosierte Chemotherapie und eine ausgedehnte Bestrahlung hat Allison schon hinter sich. Die Ärzte im Essener Klinikum haben sich für eine Knochenmarktransplantation entschlossen. Sie liegt nun auf der Quarantänestation im Uni-Klinikum Essen.
Isoliert von der Umwelt. Alles steril. Nur die Ärzte, Pflegekräfte und ihre Eltern dürfen ins Zimmer. Am Sonntag wurde Allison 14 Jahre alt. Anlass genug für einen Besuch mit Anja von der McDonald’s Kinderhilfe.
Wir können uns nur durch die Scheibe sehen und über die Sprechanlage unterhalten. Anja und ich albern herum, singen ihr ein Ständchen, malen mit einem Filzstifte unsere Hände auf das Glas. Die Geschenke wurden vorher desinfiziert. Allison liebt Lego, wie so viele Kinder in ihrem Alter. Da sagt sie: "Die eine Figur (Anmerkung: Der Typ mit hellgrauem Bart) sieht aus wie Du." Zufall?
Allison möchte ein Youtube-Star werden, hat einen eigenen Kanal. JUSTALLISON heißt er. „Was wünschst Du dir?“, frage ich sie. Die Antwort verblüfft nicht wirklich: „Ich möchte eine Millionen Klicks erhalten.“  Ja, das wünsche ich dem Mädchen von Herzen. Aber noch mehr wünsche ich, dass die Operation morgen gelingt und Allison wieder gesund wird.
Ihre Mama schreibt heute im sozialen Netzwerk: „Ich bin dein Fan. Liebe deinen Mut, Baby. Morgen bekommst du die Zellen deines Spenders. Wir beten für einen guten Empfang in deinem Körper.“ In einem Film auf ihrem Youtube-Kanal JUSTALLISON spricht sie offen über ihren Krebs. „Manche Menschen wissen nicht, dass ich Krebs habe, deshalb sage ich jetzt, ich habe Krebs.“ https://www.youtube.com/watch?v=4WXJSS-5Gm8 Sollen wir Allison ihren Wunsch erfüllen? Vielleicht knacken wir ja die eine Millionen Marke. Dann klickt, klickt, klickt...teilt, teilt, teilt...

Montag, 5. November 2018

Stahlstraße


Als junger Mann war ich oft im Bordell oder umgangssprachlich Puff. Damals rein beruflich, heute zu Recherchezwecken. Die älteste Laufstraße Deutschlands mit knapp 20 Häusern, in denen früher bis zu 200 Frauen arbeiteten, befindet sich in „meinem“ damaligen Schutzbereich am Rande der Essener Innenstadt. Die Stahlstraße – früher Heilig-Geist-Straße – gibt es schon seit über 100 Jahren. Auf der „Gerlingwache“ bin ich von 1971 bis 1978 als junger Schutzmann auf Streife gegangen oder gefahren. Obwohl anfangs noch nicht volljährig (!), haben mir diese Einsätze immer Spaß bereitet. Und nicht nur mir. Wenn die Einsatzleitstelle „Gruga“ kurz und knapp über Funk fragte: „Zahlungsstreitigkeiten Stahlstraße, welches Fahrzeug ist einsatzklar“, meldeten sich meist eine ganze Reihe von Streifenwagen. Im Gegensatz dazu herrschte bei „dicken“ Unfällen Funkstille. Häufig galt es, einen Streit zwischen Hure und Freier zu schlichten. Entweder war der Preis nicht angemessen oder die Prostituierte hat ihren Freier an die Luft gesetzt, wenn es ihr zu lange dauerte. („Muss halt eher kommen“). Dann kamen wir. Personalienaustausch, Hinweis auf den Rechtsweg, hieß es anschließend im Tätigkeitsbuch. Es gab auch Diebstähle oder Schlägereien. Oftmals zum Monatsanfang beim so genannten Lohntütenball.
Noch bis in die 1960er-Jahre hinein existierte direkt an der Stahlstraße eine kleine Wache. Die älteren Kollegen sprachen immer nur von der Puffwache und hatten allerhand Dönekes auf Lager. Die Kripo („Sitte“) stellte einen Beamten nur für die Bearbeitung der Vorgänge rund um den „Puff“ ab. Als „Papa Ferner“, so nannten ihn die Frauen, in den 1990er-Jahren in Pension ging, wurde die Stelle nicht mehr neu besetzt. Bei meinem heutigen Gang durch die Sackgasse wollte ich herausfinden, ob die Straße eigentlich ordnungsgemäß ausgeschildert ist. Fehlanzeige. Ich habe kein Straßennamensschild für eine der bekanntesten Straßen Essens gefunden. Lediglich das ehemalige Pissoir am Eingang wies noch den Hinweis „PP“ auf. Das hat mich dann doch ein bisschen irritiert. Kenne ich diese Ankürzung doch nur für den Polizeipräsidenten.
Hinweis auf das ehemalige Pissoir ohne Wasserspülung. Es roch nicht besonders angenehm an dieser Stelle.
Die Stahlstraße geht von der Nordhofstraße ab, es gilt dort „rechts vor links“.
Hinter Mauern befinden sich die Häuser der ältesten Laufstraße Deutschlands.