Dienstag, 30. März 2021

„Kristallnach“

Vor 38 Jahren. Die kleine Anekdote macht in unserer Familie oft die Runde. Unser Sohn – heute 48 Jahre alt - war noch auf der Grundschule, als der Lehrer  fragte. “Wer von euch weiß, was Kristallnacht bedeutet.“ Er wollte natürlich hören, was später und heute Pogromnacht genannt wird. Axel (10) zeigte als einziger Schüler spontan auf: “Das ist ein Lied von BAP“, sagte er in vollster Überzeugung.  Das wollte Herr Claßen zwar nicht wissen, aber die Antwort war richtig. Allerdings in der Kölner Mundart „Kristallnaach“. Das Lied kannte Axel aus dem Plattenschrank von Papa. Solange ist es schon her, dass Wolfgang Niedecken diesen Song Anfang der 1980er-Jahre für das BAP-Album „ Vun drinne noch drusse“ schrieb.

Neue Ruhr Zeitung vom 30. März 2021
Heute wird der Musiker 70. Jahre alt und ist noch immer musikalisch unterwegs. Meine Tageszeitung NRZ (Foto) schreibt heute „Weiser Rocker vom Rhein“. Peter Pionke in seinem Buch von 1990 „BAP – jraaduss“ über die Band: “BAP stehen für schnörkellosen, ehrlichen Geradeausrock […]. Doch die Texte von Band-Boss Wolfgang Niedecken treffen offenbar haargenau den Nerv zigtausender  Musikfans. Und das, obwohl die meisten die kölsche Worte des Südstadt-Poeten gar nicht verstehen. Aber wahrscheinlich spüren die Fans, dass der Star, der gar kein Star sein will, sein Innerstes nach außen kehrt, sagt, was er fühlt.“ Herzlichen Glückwunsch, Wolfgang Niedecken.

Samstag, 27. März 2021

116 tote Piloten

In Zeiten des „Kalten Krieges“ zählten Menschenleben weniger. Alleine Anfang 1971 stürzten acht „Starfighter“ innerhalb von nur vier Wochen ab. Ein Flugverbot war allerdings nicht die Folge. 

Insgesamt verlor die Luftwaffe 269 dieser „Schönwetterflieger“ – 116 (!) Piloten starben beim Absturz. Der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU)- selbst Flugzeugführer - war für die Beschaffung der 700 Jagdflugzeuge in den USA von der Firma Lockheed für 4 Milliarden DM verantwortlich. Er veranlasste den Deal gegen den Rat der Experten, die zunächst eine geringe Anzahl dieses Flugzeugtyps verschlugen.

Franz-Josef Strauß war für den Kauf  des Lookheed F 104 verantwortlich

 

116 Familien verloren ihren Sohn, Ehemann, Freund, Kameraden. In Bundeswehrkreisen wurde das Kampfflugzeug als Witwenmacher bezeichnet.

Ich stehe in Kontakt mit einer Witwe, die 1981 ihren Mann beim Absturz eines Polizeihubschraubers verlor. Sie sagte mir mal: „Mein Leben war ab diesem Zeitpunkt vorbei. Ich funktionierte nur noch für meine Kinder.“ 

 


  

Samstag, 20. März 2021

Opa Hermann ("Malchow") - von der masurischen zur mecklenburgischen Seenplatte

Auch ich stamme aus einer Flüchtlingsfamilie. Väterlicherseits. Mein Opa Hermann („Malchow“) ist 1888 in Reussen/Ostpreußen auf die Welt gekommen. Er ist, wie damals üblich, als ältester Sohn einer Großfamilie mit sieben Kindern groß geworden. 1913 heiratet er meine Oma Auguste. Das Paar bekam zwei Kinder. Zunächst Dorothea (Tante Dora) und zwei Jahre später meinen Vater Walter.

Mit Opa Hermann in Gelsenkirchen-Buer
In den 1920er- und 1930er-Jahren arbeitete Hermann Klein auf einem kleinen Rittergut in Lonschken als Gärtner und Jäger. Dann brach der 2. Weltkrieg aus. In dieser Zeit wurde er „Zahlmeister“ im Offizierrang (Foto).

Kurz vor dem Ende des Kriegs flüchtete die Familie. „Wir hörten schon den Kanonendonner der russischen Armee“, erzählte mir meine Tante einmal. Da Opa schon immer ein pragmatischer Mensch war, blieb er in Malchow/ Mecklenburg hängen, obwohl viele ihm rieten, noch ein bisschen weiter gen Westen in die britische Besatzungszone zu ziehen.  „Nein, hier bleiben wir. Es sieht aus wie in der Heimat,“ soll er gesagt haben.  

Im Nachlass meiner Eltern fand ich ein kleines Buch: „Leberblümchenzeit“ von Brigitte Gladen. Sie war eine von drei Töchtern vom Gutsbesitzer in Lonschken. Auch sie musste 1945 ihre Heimat verlassen. Die Autorin erzählt von Ostpreußen, vom Leben auf dem „Gut Lonschken“. Sie versinkt in ihre alte Welt, berichtet von vergessenen Sitten und Bräuchen. Und auf den Seiten 26 bis 28 finde ich meinen Großvater wieder, dem Gärtner und Jäger. Er gehörte zu den Leuten. So hießen die insgesamt 19 Familien der Landarbeiter, Handwerker und Gärtner. Es gab Leutehäuser, Leutekinder, Leutegärten, Leutekühe, Leutegänse, die Leutepumpe und, und, und. Nichts Abwertendes wie man heute vielleicht denken mag.

1963 - Goldene Hochzeit - Oma und Opa "Machow"
Leider existieren aus dieser Zeit nur wenige Familienfotos.  Der Flucht geschuldet.

Opa „Malchow“ kannte ich auch nur als älteren Herrn. Großvater eben. Er arbeitete in Malchow wie früher als Gärtner und brachte es in der DDR sogar zu ein wenig Wohlstand. Die späteren Urlaube in seinem Häuschen mit großem Garten am Fleesensee sind mir, meiner Frau und Kinder noch in bester Erinnerung. Mit Kindern konnte er tatsächlich gut umgehen, so wie im Buch beschrieben.  Er starb mit 89 Jahren. Seine Heimat Ostpreußen hatte er nie wieder gesehen.

Auszug aus dem Buch „Leberblümchenzeit“:

„Die Inspektorwohnung lag im seitlichen Flügel unseres Hauses. Daran grenzte des Gärtners Residenz, das Gewächshaus, wo u. a. Bienenkörbe geflochten oder ausgebessert und Strohmatten für die Mistbeete hergestellt wurden. Im Spätsommer lagerten dort große Mengen von Tomaten, an der südlichen Außenwand brachten die Spalierpfirsiche reiche Ernte. Der Gärtner schnitt oft mit einem Diamanten Glas, das er für seine Frühbeete brauchte. Wir fanden alles im Gewächshaus interessant. In der Sommerzeit fuhr der Gärtner zwei Mal wöchentlich sehr früh mit Pferd und Wagen zum nächsten Markt, in Klein Gnie oder Muldzen. Die Orte lagen ca. acht Kilometer entfernt, und nachmittags kehrte er mit leerem Wagen zurück. Er war am Gewinn beteiligt, und so zog er in Lonschken derart gute Gemüse, Spargel, Erdebeeren und Salate, dass es eine Freude war. Die Gemüsegarteneinnahmen

war das Taschengeld meiner Mutter. Sie war daher nicht ernsthaft verärgert, dass der Gärtner im Sommer Park- und Blumenanlagen nicht so intensiv betreute wie den Gemüsegarten. Vom Nachmittag an hielten wir Kinder nach dem Gärtnerfuhrwerk Ausschau.

Wir liebten die Abrechnungen. In Türmchen von Kleingeld schob meine Mutter ihm generös seinen Anteil zu, dazu errechnete man einen Prozentsatz von den größeren Münzen. An manchen Tagen meinte Muttchen, nun brächte er aber besonders viel Kleingeld, beziehungsweise Türmchen. Oft mussten wir lange auf des Gärtners Marktrückkehr warten.

Beide Großväter - Hermann und Willy im hohen Alter
Er pflegte im Abelischker Krug noch ein Gläschen zu trinken, und bei einem blieb es nie. Mein Vater war sehr verärgert darüber, weil das Pferd, genannt „Gärtnerfuchs“, vor dem Krug angebunden, müde und manchmal in Hitze warten musste.

Wenn jemand den Gärtner ärgerte, konnte er sehr ausfallend werden. Zu uns Kindern war er reizend, und wenn wir uns trennten, rief er oftmals freundlich: „Und noch Filimisimang!“ Erst Jahre später, als wir in Insterburg Französisch lernten, wurde mir klar, dass er uns „viel Amüsement“ gewünscht hatte.

Unser Gärtner war gleichzeitig Imker und sorgte für 65 Bienenvölker. Meine Mutter besprach mit ihm die Schleudertermine, damit man möglichst reinen Klee- oder Lindenhonig erzeugen konnte. Geschleudert wurde ca. drei Mal im Sommer und nur bei Sonnenwetter, weil die Bienen dann ausgeflogen waren. Bienenstiche waren sehr gefürchtet, da sie schmerzhaft, im Gesicht zu hässlichen Schwellungen führend, in den Haaren widerlich und in Mengen nicht

ungefährlich waren. Mein Vater mied die Handwerkerstube, in der geschleudert wurde. Wir Kinder wollten helfen, weil es so aufregend war, wenn der Gärtner die Wabenkisten auf der Schulter hereinbrachte. Kopftuch bewehrt und mit Handschuhen wurden vier

Waben in die Schleuder gehängt, und Muttchen drehte die Kurbel. Das musste „mit Verstand“ geschehen, anfangs sehr langsam, damit die Waben nicht brachen, dann immer schneller. Wie war es spannend, wenn der Honig in dickem Strahl in die Gefäße floss! In jedem Sommer gab es viele Zentner. Der Honig, den Lonschken nicht verbrauchte, wurde abgefüllt und zu 4,5 kg oder 9 kg nach Berlin und ins Reich geschickt. Wir fuhren mit der Spinne nach Abelischken zur Post, mit lauter goldenen, verplombten Eimerchen und dem Postbuch, wo alles eingetragen werden musste. Der Gärtner war immun gegen Bienenstiche. Er arbeitete ohne Kasel und Smoker an den Stöcken. Mir großer Umsicht, von uns unendlich bestaunt, fing

er Bienenschwärme ein. An Sommerabenden nahm er uns manchmal zum Bienenstand mit, und wir durften an den Körben lauschen. Wollte eine Königin am nächsten Tag schwärmen, d.h. ein eigenesVolk gründen, rief sie die Bienen mit einem eigentümlichen Tuten dazu auf. Der Gärtner passte anderentags auf, wenn der Schwarm sich erhob und in der Nähe wieder an Baum oder Strauch niederließ. Dann fing er ihn mit einem großen Sack an langer Stange und setzte die Tiere in einen neuen leeren Korb mit vorbereiteten Waben. Immer klappte es nicht, weil Bienenschwärme manchmal sehr weit zogen, aber dafür saß auch schon mal ein fremder in unserem Garten und wurde in Empfang genommen. Wir Kinder aber flohen, sobald

wir einen Schwarm entdeckten, denn es gab gräuliche Geschichten von Pferden, die von Bienen totgestochen worden seien, weil ein Schwarm sich an sie hängte. Meine Schwester Ursel hatte einmal elf Stiche, war Held des Tages, durfte sich zu Bett legen und musste viel

Milch trinken. Man beneidete sie ein wenig um diese Sonderstellung, allerdings nicht mehr, als sie am nächsten Morgen chinesenähnlich zum Frühstück erschien. Ihre Augen waren zugeschwollen, weil eine Biene sie an der Nasenwurzel gestochen hatte.“


 

Freitag, 19. März 2021

Stones in Essen

Die Rolling Stones traten am 12. September 1965 in der Grugahalle auf. Das Foto stammt vom dänischen Fotograf Bent Rej, veröffentlicht im Bildband „The Rolling Stones in the beginning“. Die Polizisten waren wohl von den englischen Jungs nicht so begeistert, wenn man in ihre Gesichter schaut. Zu dieser Zeit sprach die ältere Generation gerne von „Gammlern oder Haschbrüdern“. Das betraf nicht nur die Musiker. Ein Kumpel mit längerem Haupthaar, der mit meinem Bruder in einer Band spielte, wurde im Schlaf von seinem Vater mit einer Schere aufgesucht. "Mit der Beatelei ist Schluss", soll er seinen nächtlichen Angriff begründet haben.

Acht Jahre später war die Band wieder in Essen. Den Einsatzbefehl konnte ich vor dem Schreddern retten. Wir erfahren, dass die Gruppe mit einem Mercedes 600 anreiste und in Düsseldorf übernachtete. 2016 war das Dokument in der Ausstellung „Rock und Pop im Pott“ im Ruhr Museum auf der Zeche Zollverein zu sehen. Der Versicherungswert wurde auf 500 Euro geschätzt. Na bitte, nichts wegwerfen.

Schade, dass die Polizei-Einsatzbefehle von den Auftritten der Beatles und der Stones in den 1960er-Jahren verschwunden sind.