Mittwoch, 22. August 2018

Polizist erschießt 21-Jährigen in ausgebrannter Synagoge

So tragisch würde ein Polizeieinsatz, der sich in der Nacht vom 22. zum 23. August 1958 in der teilweise zerstörten ehemaligen jüdischen Synagoge am Rande der Innenstadt ereignete, heute nicht enden. Ein junger Mann klettert in die Kuppel der in der Pogromnacht vom 9. November 1938 von Nazis angezündeten und ausgebrannten Ruine der jüdischen Synagoge. Er schmeißt wahllos Gesteinsbrocken aus etwa 30 Metern auf den Gehweg und die Straße. In einem Anbau gehen Scheiben zu Bruch.
Anwohner und Gäste einer Gastwirtschaft rufen die Polizei. Hauptwachmeister Johannes G. und sein Streifenkollege vom 1. Polizeirevier machen sich auf den Weg zum Einsatzort. Die Beamten leuchten in die Ruine und entdecken „eine Gestalt“, wie sie später sagen, am Fenster. Auf Zuruf reagiert der 21-Jährige nicht. Unterstützungskräfte werden angefordert, ebenso die Feuerwehr. Diese fährt die Drehleiter aus. Der Bereich rund um die Synagoge wird abgesperrt. Beide Beamte klettern über die Leiter in den „nächtlichen Himmel“, heißt es im Einsatzbericht, und treffen in 30 Meter Höhe im Kuppelumlauf auf den „Störer“. Sie fordern ihn auf, das Steinwerfen einzustellen und drohen den Schusswaffengebrauch an. Später sagen die Beamten: “Wir befanden uns in Lebensgefahr.“ Zwischenzeitlich schießen von unten andere Polizisten Tränengas in die Höhe. Die Wirkung in dem offenen Restgebäude ist gleich Null. Bis auf fünf Meter klettert nun der Hauptwachtmeister L. an den jungen Mann ran. Nach seinen Angaben bückt er sich und greift nach einem größeren Steinbrocken. Hauptwachtmeister G. schießt und trifft. Der 21-Jährige fällt in die Tiefe und stirbt.

Später stellte sich heraus, dass der Getötete aus Bochum stammt, der erst vor kurzem bei Stuckarbeiten an einem Neubau abgestürzt war und sich einen Schädelbruch zugezogen hatte. An dem verhängnisvollen Freitag hatte er Alkohol getrunken.

Johannes Otto, Polizeihauptkommissar a. D. (Spitzname: Der letzte Preuße) hat diesen Fall vor vielen Jahren in einem Aufsatz festgehalten und dazu die Skizze gefertigt. In seiner rechtlichen Beurteilung kommt er zum Ergebnis: Der Schusswaffengebrauch war rechtmäßig. (Quelle/Zeichnung: Johannes Otto, Polizeihauptkommissar a.D., 1911-2001).
Info: In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, während der Novemberpogrome 1938, wurde die Synagoge durch Brandstiftung im Inneren stark beschädigt. Ihr Äußeres blieb dabei fast unversehrt. Aufgrund der massiven Bauweise aus Stahlbeton konnten die Nationalsozialisten das Gebäude entgegen ihren Plänen nicht abreißen, eine Sprengung war wegen der umliegenden Häuser unmöglich. Den Zweiten Weltkrieg überstand der Bau ohne größere Schäden.Das Baukunstwerk gehört zu den größten und architektonisch bedeutendsten, freistehenden Synagogenbauten Europas aus der Anfangszeit des 20. Jahrhunderts. Es ist ein einzigartiges Kulturdenkmal. In der Pogromnacht wurde auch die angezündet.  
Am Rande: Später machte folgende Geschichte in der „Gerlingwache“ (Citywache) die Runde. Der Schütze habe Jahre später ein Haus in der Stahlstraße – im Pott heißt das Puff, im Amtsdeutsch Dirnenwohnheim – geerbt, weil er sich liebevoll um die Eigentümerin gekümmert habe. Seine Polizeimütze habe er an den berühmten Nagel gehängt und im Westwald ein Hotel eröffnet.

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