Montag, 7. März 2016

Meine erste Leiche



Mir fiel jetzt nach Jahren beim Aufräumen - die Krankheit der Rentner -  das Buch mit dem Titel „Die erste Leiche vergisst man nie“ in die Hand. In dem Buch erzählen Polizisten ihre Geschichten. Der erste Raub, der erste Mord, der erste Suizid. Volker Uhl, Kriminalbeamter und Konfliktberater in Ludwigsburg, hat das Internet-Projekt „Polizei-Poeten“ 2002 ins Leben gerufen.
Meine erste Leiche habe ich auch nicht vergessen. 18. September 1972. Die Leiche war ein Mann, hieß Josef P., 53 Jahre alt und hing im Türrahmen. Gefunden von seiner jüngeren Schwester Irmgard. Welch ein Anblick.
Auch für mich. Ich war 19 Jahre alt. Polizeihauptwachtmeister. Noch nicht volljährig. Einen Toten hatte ich zuvor noch nie gesehen, weder privat noch dienstlich.
An diesem grauen Regentag fuhr ich mit meinem Streifenführer, Polizeiobermeister Hans W., den Funkstreifenwagen Gruga 11/12 des Schutzbereichs I („Gerlingwache“). Gegen 10.00 Uhr erhielten wir den Einsatzauftrag: „Fahren Sie zur Herwathstraße. Ein Mann hat sich aufgehängt.“ Der Arzt und die Todesermittler vom 1.Kommissariat wurden gerufen. Das erledigte mein Kollege, Polizeiobermeister Hans W., vom Streifenwagen über Funk aus. Er ließ mich alleine mit dem Verstorbenen in der Wohnung zurück. Ich sah den Erhängten immer wieder an, wie er dort im Rahmen leicht schaukelte. Und später musste ich dem Kripokollegen noch beim Abschneiden des Verstorbenen helfen. „Pack mal mit an Junge“, sagte er kurz. Was blieb mir anderes übrig.  Direkter Körperkontakt mit dem Erhängten. Josef wohnte bis kurz vor seiner Selbsttötung mit seiner Mutter zusammen. Seine Schwester erzählte, dass er ihren Tod nicht verwunden habe. Jetzt waren sie wieder zusammen.
Nach dem Dienst fuhr ich auf direktem Weg nach Hause. Mein erster Gang war unter die Dusche. Das machte ich sonst nie.
Später kamen noch einige Tote hinzu: Unfall-, Brand und Mordopfer, Selbstmörder oder einfach so Verstorbene. Aber „meinen Josef“ habe ich nach über 44 Jahren immer noch vor Augen. Als wenn es gestern gewesen wäre.



Infos: „Die erste Leiche vergisst man nicht“, Taschenbuch, erschienen im Piper-Verlag, 9,99 Euro, 5 Sterne… oder www.polizei-poeten.de

 (c) uk-Foto: Die "Gerlingwache", damals Schutzbereich I, am Rande der Essener Innenstadt. Heute befindet sich eine Außenstelle der Uni in dem Gebäude, nach jahrelangem Leerstand. 


 

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