Vorwort
Der Mord an dem bosnischen Mädchen ist über 27 Jahre
her. Marijana wäre heute eine Frau mittleren Alters. Wie wäre ihr Leben
verlaufen? Vielleicht würde sie in Essen wohnen, wäre verheiratet, hätte Kinder?
Der Krieg in ihrem Heimatland Bosnien/ Herzegowina war noch nicht ausgebrochen.
Hätte sie, ihre Geschwister und Mutter fliehen müssen oder können, zumal ihr
Vater schon jahrelang im Ruhrgebiet arbeitete. Es kam anders. Ein Unbekannter
beendete grausam das junge Leben des Mädchens. Der Mord konnte bislang nicht
geklärt werden. Lebt der Mörder weiter unter uns in Essen? Neben einer noch möglichen Aufklärung („Mord
verjährt nie“) sollte das Opfer nie vergessen werden.
Vermisst
Essen-Altenessen. In der Frühbesprechung der
Essener Kripo am 1. September 1993 hat die Erste Kriminalhauptkommissarin Hanna
Baltuttis schon ein ungutes Gefühl. Jahrzehntelange Erfahrung lässt die
Leiterin des 2. Kommissariats, zuständig für Sexualdelikte, Vermisstenfälle und
Kinderkriminalität, sagen: "Das sieht nicht gut aus.“ Ihr Gefühl soll ihr
recht geben.
Seit den späten Abendstunden des Vortages bis in
die Nacht hinein sucht die Essener Polizei mit einem Großaufgebot nach Marijana
Krajina. Über 100 Beamte sind im Einsatz. Das Mädchen aus Bosnien-Herzegowina
ist mit ihrer Mutter zu Besuch bei ihrem Vater (51), der in Altenessen wohnt
und seit 1966 bereits in Deutschland arbeitet. Schon zum siebten Mal ist
die 9-Jährige im Ruhrgebiet, immer in den Sommerferien. Sie kennt sich gut im
Wohnumfeld aus, spricht aber wenig Deutsch. Sieben Wochen ist Marijana zurzeit in
Essen.
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Marijana - 9 Jahre alt |
Am Dienstag, dem 31.August 1993, gegen 17.45 Uhr,
verlässt das Kind die Wohnung des Vaters an der Straße Am Schlagbaum 5, um ihre
Mutter (46) vom Kaufhaus "Woolworth" an der Altenessener Straße - nur
wenige hundert Meter entfernt - abzuholen. Die Mutter kommt wenig später allein
zur Wohnung zurück. Ihre Tochter ist verschwunden. Am späten Abend, gegen 22.00
Uhr, schalten die Eltern nach eigener erfolgloser Suche die Polizei ein. Bis zu
26 Streifenwagen suchen in der Nacht planmäßig die Umgebung und den Stadtteil
Altenessen ab. Die Beamten werden von der Feuerwehr, von Bus- und Bahnfahrern
sowie von Taxifahrern unterstützt. |
Vom Wohnort zum Kaufhaus - ein kurzer Weg (Foto: Google Map)
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Die Kripo nimmt die Ermittlungen auf. Die fieberhafte
Suche bringt nicht den erhofften Erfolg. Marijana bleibt wie vom Erdboden
verschluckt. Die Suche geht bei Helligkeit im unmittelbaren Wohnumfeld, im
Kaiserpark, im und rund um das Einkaufszentrum, auf dem Gelände der Zeche Carl
am nächsten Tag weiter. Das Mädchen ist wie vom Erbogen verschluckt. Nach den
Veröffentlichungen auf Radio Essen und in anderen Medien gehen wenige Hinweise
ein. Auch sie führen nicht zu dem Kind.
Mord
Scheeßel (Niedersachsen/Landkreis Rotenburg/Wümme).
Am Freitagabend, dem 3. September 1993, gegen 19.45 Uhr, dann die Gewissheit
was geschehen ist. Eine Frau findet in Niedersachsen an der Bundesstraße 75
zwischen Bremen und Hamburg, nordöstlich der Ortschaft Scheeßel, an einem
Parkplatz in einem Brombeergebüsch den Leichnam eines Kindes. Der Fundort ist
etwa 300 km von Essen entfernt. Der kleine Körper weist Stiche und
Würgemerkmale auf. Spuren von sexueller Misshandlung stellt der Rechtsmediziner
später fest. Schnell wird den Ermittlern in Niedersachsen klar, dass es sich um
das 9-Jährige Mädchen aus Essen-Altenessen handelt.
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Der Fundort des Leichnams in Niedersachsen
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Aus der Vermisstenkommission wird jetzt in Essen
eine Mordkommission (MK). Sie wird geleitet vom Kriminalhauptkommissar Klaus
Welski. Marijana Krajina ist schon in der Nacht ihres Verschwindens oder tags
darauf von ihrem Mörder getötet und missbraucht worden, ergibt das Spurenbild.
Ermittlungen
Die Theorie der Fahnder lautet: Der Täter hat
Marijana in der Nähe der Altenessener Wohnung oder am Einkaufszentrum
Altenessen verschleppt und ist mit ihr in Richtung Norddeutschland gefahren,
vermutlich über die Autobahn A1. Die Fahrtzeit bis zum Fundort des Leichnams
liegt bei drei bis vier Stunden. Irgendwo auf der Strecke passiert das
schreckliche Verbrechen. Der Leichnam wird dann vom Täter in dem Gebüsch auf
dem Parkplatz an der B75 abgelegt. Doch bleiben einige Fragen offen: Warum
steigt das Kind in das Fahrzeug eines Unbekannten? Oder hat sie doch Vertrauen
zu ihm? Kein Mensch hat Marijana nach dem 31. August 1993 mehr gesehen.
Ungewöhnlich. Klaus Welski und seine Kollegen gehen jeder kleinsten Spur nach.
Trotz intensiver Pressearbeit kommen wenige Hinweise aus der Bevölkerung.
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Wurde Marijana auf dem Weg von Essen nach Scheeßel getötet? Foto: Google Map
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Hoffnung
Dann keimt neue Hoffnung auf. Nach Tagen meldet
sich eine Zeugin bei der Mordkommission. Sie will Marijana am Tage ihres
Verschwindens in Begleitung eines Mannes gesehen haben. Dieser Unbekannte soll
eine Bundeswehruniform getragen haben, unter einer Schulterklappe klemmte ein
bordeauxfarbenes Barett. Ein Phantomfoto wird von Beamten des
Landeskriminalamtes (LKA)gefertigt. So sieht der mögliche Mörder aus, ist sich die
Hinweisgeberin sicher.
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Das Phantomfoto - sieht so der Mörder aus?
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Die Frau ist glaubhaft, eine gute Zeugin, so der
Leiter der MK. In Niedersachsen gibt es im engeren und weiteren Bereich des
Fundortes des Leichnams viele Kasernen. Das Puzzle könnte zusammenpassen. Ist
der Mörder ein Bundeswehrsoldat?
Die Beschreibung des mutmaßlichen Täters: etwa 20
bis 22 Jahre alt, etwa 170 bis 175 cm groß, schlank, breite Schultern, kurzes,
leicht gelocktes, blondes Haar.
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Der Parkplatz und Ablegeort im Hintergrund
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Die Essener Mordkommission ermittelt in norddeutschen
Kasernen, die Bundeswehr leistet Hilfe und Unterstützung. 1131 Soldaten werden
überprüft. Leider ohne den erhofften Erfolg. Der Mörder bleibt unbekannt.
ZDF „Aktenzeichen XY…ungelöst“
Nächste Hoffnung und Möglichkeit: Die
Mordkommission wendet sich an das Zweite Deutsche Fernsehen. Eduard Zimmermann
berichtet zeitnah in seiner Sendung "Aktenzeichen XY…ungelöst..."
über das Verbrechen. Klaus Welski nimmt noch im Studio die ersten der 48
Hinweise entgegen, seine Kollegen warten in Essen auf den entscheidenden Tipp.
Viele Anrufe aus ganz Deutschland gehen in Essen ein. Leider ist die
"heiße Spur" nicht darunter.
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In Altenessen wird das Plakat veröffentlicht
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Fazit
Am 12. November 1993 wird die Mordkommission (MK)
aufgelöst. Die Bilanz: Die MK besteht zeitweise aus bis zu 25
Beamten und leistet 1800 Überstunden. Sie überprüft 1726 Personen, darunter
1131 Soldaten, 333 Autofahrer (rote Alfa-Romeo mit Essener Kennzeichen und
weiße Opel-Omega mit Verdener Kennzeichen).
Bleibt der Mord an dem Mädchen für
immer ungesühnt? Was geschah am 31. August und 1. September 1993? Nur der
Mörder könnte eine Antwort geben.
Autor: Uwe Klein, Erster
Polizeihauptkommissar a. D.