Freitag, 14. August 2015

Superrentner…Superonkel…

Mein Onkel Oswald ist Rentner, seit 25 Jahren. Seinen 90. Geburtstag hat er jetzt in Bad Kissingen mit seiner Partnerin (75) gefeiert.
Oft sitzen wir zusammen in seiner Wohnung in Wanne-Eickel und plaudern. Einfach so - über Gott und die Welt. Von Rentner zu Superrentner.
Sechs oder auch mal acht Stunden später sitzen wir am Küchentisch. Wir diskutieren Themen der aktuellen Weltpolitik, wir reden über Griechenland, die Flüchtlingswelle, die Erbschaftssteuer. Er erzählt Familiengeschichten.
Wissbegierig frage ich ihn auch nach seinen jungen Jahren: “Oswald, wie war das damals bei den Nazis?“ Dann berichtet er ganz freimütig, wie er anfangs als Junge und Jugendlicher überzeugter Jungvolkführer war, wie er in einer Nacht den Glauben an Hitler und die Nazis verlor, weil seine Kameraden um ihn herum in Ostpreußen „wie die Fliegen starben“. Wie er mit 17 Jahren in den Krieg musste, wie seine Einheit aufgerieben wurde, wie er sich vier Wochen auf einem Gehöft versteckte und dann doch in russische Gefangenschaft geriet, wie er jeden Tag in Sibirien Tod erlebte (!) und wie er zwei Jahre später mit nur 36 (!) Kilogramm Körpergewicht nach Hause ins völlig zerbombte Ruhrgebiet kam, weil er als Arbeitskraft nichts mehr taugte, wie er in dieser Zeit entmenschlicht wurde.
„Hitler war ein Verbrecher, das System war verbrecherisch!“ Das soll heute jeder wissen, der nur ein Tick Gutes an dieser Zeit oder an nationalsozialistischen Ideen findet. Wenn er dies sagt, wird der Bruder meiner Mutter richtig wütend. Dann mag ich ihn ganz besonders, meinen Onkel.
Nach dem Krieg machte Oswald Distelrath Karriere als Kommunalbeamter in der Stadtverwaltung, zunächst in Wanne-Eickel, nach der Eingemeindung in Herne. Er wurde Sozialdemokrat und überzeugter Gewerkschafter.
Alle seine Frauen gingen früh. Mein Onkel hat jedoch nie den Lebenswillen verloren. Jetzt denkt er gerade nach, ob er noch einmal seine langjährige Lebensgefährtin Christa heiraten soll. Und das mit 90 Jahren.
Als Perspektive sagt er: „Mit geht es ganz gut, ich möchte so alt werden wie mein Vater.“ Der starb mit 98 Jahren.
So ist er, mein Onkel Oswald, einer der besten Zeitzeugen, vom Onkel zum Freund geworden, ein Superrentner, oder?

Foto: Mit 17 Jahren und jetzt mit 90 Jahren...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen