Seiten

Sonntag, 30. August 2015

Blaumänner



In der Tierwelt sind eigentlich die Männer die Paradiesvögel. Und im wahren Leben?
In der Samstagausgabe meiner Tageszeitung fiel mir das Foto aus Anlass des Besuchs des Außenministers Frank-Walter Steinmeier  in der Essener Uniklinik auf.
Auf den ersten Blick dachte ich, dass Bild stammt aus alten DDR- oder Mao-China-Zeiten. Alle Abgebildeten tragen blaue Arbeitsanzüge, also Blaumänner. Man(n)/ Frau  stelle sich einmal vor, auf dem Foto wären die Bundeskanzlerin gemeinsam mit sieben Geschlechtsgenossinnen in blauen Hosenanzügen abgelichtet worden. Ein Sturm wäre durch die Gazetten gezogen, noch kräftiger als seinerzeit beim Bayreuther-Dekoltee-Skandal.
Und bei den männlichen Eliten mit Modesünden? Nix passiert. Ne, ne Männer, ihr enttäuscht mich. Ihr seid ja auch fast alle schon im Rentneralter. Aber ein  bisschen mehr Mode täte euch und uns Betrachtern gut.


Foto: Quelle WAZ und NRZ vom 29.8.2015 - Fotograf: Knut Vahlensieck



Freitag, 28. August 2015

„Hol’ den Papa…“




In nur fünfeinhalb Jahren war unsere sechsköpfige Familie komplett. Vater, Mutter, Dieter (1947), Hartmut (1948), Manfred (1950) und Uwe (1953). Was wäre wohl aus mir „Dagmar“ geworden?
Wir wohnten direkt am Polizeipräsidium in Gelsenkirchen-Buer. Parterre. Unser Wohnhaus, Teil der so genannten Polizeistadt, hatte einen schmalen langen Hinterhof. Eine rote Backsteinmauer trennte ihn vom Gelände des Polizeipräsidiums. Dahinter war der schönste Spielplatz der Welt. Pferdestall mit Heuboden, großer Sportplatz mit Sandgrube, nicht verschlossene Einsatzfahrzeuge, Schießstand (!). Alle Polizeikinder unserer Siedlung spielten hier.
Mein Vater arbeitete  im polizeiärztlichen Dienst (das hörte er immer gerne), wir sagten Sanitätsstelle. Er konnte von seiner Dienstelle schräg rüber zu unserem Küchenfenster „spucken“, Luftlinie etwa 10 Meter. Wenn Mutter mal wieder mit uns vier Jungs nicht klar kam, rief sie: "Waaalter, die Kinder..."
Sein Fenster in der 1. Etage öffnete sich dann. Es schallte über den Hof. "Wartet nur, wenn ich nach Hause komm’, dann gibt’s Saures." Manchmal hatte er nach Dienstschluss seine pädagogische Androhung vergessen, er blieb in der Polizeikantine hängen. Diese befand sich direkt unter der Sanitätsstelle und war in der Regel nach Büroschluss voll, voller (!) „grüner“ durstiger Männer. Auch während der Dienstzeit liefen die Geschäfte für den Kantinenwirt nicht schlecht.  Die Nachkriegsgeneration war sehr, sehr durstig.
An solchen Tagen schaute meine Mutter ab 17.00 Uhr gebannt aus dem Küchenfenster zum Ausgang des Dienstgebäudes.  Ob Vater den direkten Weg nach Hause findet? Wir Kinder wussten schon, wo Papa und seine Kollegen gerne den Feierabend verbrachten.
Wenn er nicht heim kam, sagte Mutter zu dem Ältesten: "Geh' rüber und hol’ Papa." Sie befürchtete immer, dass Vater das recht spärliche Polizistengehalt (etwa 400 Mark) in Gerstensaft umsetzte. So wie viele Bergbaufrauen im Ruhrgebiet, die am Werktor standen, wenn’s am Monatsanfang die „Lohntüten“ gab.
Dieter, der älteste der vier Jungs, kletterte über die Mauer, ging in die Kantine und sah Papa in Uniform mit seinen Kollegen an der geschwungenen Theke stehen. Vater bestellte dann beim Wirt, Herrn Ottenströer, eine rote sprudelnde Limonade. „Zitsch“ - 10 Pfennig. Mein großer Bruder trank aus und wurde mit den Worten: "Sag’ Mutti, ich komme gleich", heim geschickt. Nichts passierte. Nach gewisser Zeit war der zweitälteste Hartmut dran: "Geh' rüber und hol' Papa." Der anschließende Ablauf und Dialog zwischen Vater und Sohn verlief ähnlich „Für den Jungen eine Brause, sag’ Mama, ich komme gleich.“ Ich kürze an dieser Stelle ab. Es folgte Manfred, der Dritte im Bunde, und zu  allerletzt der Jüngste – ich.  „Lütti“, so mein familiärer Spitzname, bekam und schlürfte wie seine Vorgänger die rote Brause. Sie wissen schon, was jetzt folgte. Und am Ende des Tages?  
Meine Mutter machte uns bettfertig und sich anschließend ausgehfein, ging - sprang natürlich nicht über die Mauer - rüber in die Polizeikantine 
Beide kamen dann gemeinsam irgendwann heim, während wir vier Geschwister in einem Kinderzimmer von der roten Limonade träumten.

P.S. Meine Eltern waren 66 Jahre verheiratet

Foto: Mein Vater und Herr Schneider an der Theke in der Polizeikantine. Im Ausschank: "Stern Pils"

Dienstag, 25. August 2015

Werbung und Wahlplakate…





Nirgendwo wird so viel gelogen wie in der Werbung. Oder glauben sie an eine „Bikinifigur an nur einem Tag oder „an 37 Arten von Kopfschmerzen“? Schwachsinn!

Und Wahlplakate sind nix anderes, wie jetzt zur Oberbürgermeisterwahl in Essen. Die Kandidaten hauen einfach mal so eine Werbebotschaft in die Welt. Kann man so wie so nicht überprüfen. Die Stadt wird mit unsinnigen Plakaten zugepflastert. Von den Kosten mal ganz abgesehen. Jetzt bin ich ganz „Pirat“. Die wollten die Werbetafeln im Stadtgebiet auf 500 beschränken. Vergeblich. Wenn ich mich nur einmal in meinem kleinen Stadtteil Fischlaken umschaue, sehe ich schon so viele. Zugegeben gezählt habe ich sie nicht.

Apropos Wahlen. Wo sind eigentlich die „Grauen Panther“ geblieben? Da gefiel mir schon der Name der Partei. Wäre doch mal wieder was – eine Rentnerpartei.

Zurück zur Werbung und den Plakaten. Da fällt mir noch ein bescheuerter Werbespruch aus meiner Kindheit ein: „Bosch bohrt die schönsten Löcher.“

Foto: Habe mich einfach mal vor den SPD-Kandidaten gestellt. Es sagte mal jemand zu mir: „Der Pass sieht aus wie Du.“ Niemals, oder?


Freitag, 21. August 2015

Sinnestäuschung


Schaut einmal ganz schnell auf den kleinen angehängten Artikel. Na? Na? Was lest ihr? Meine Oma war Stripperin. Oder? „Omma“ hat sich früher ausgezogen.

Mir passierte das gestern. Erst beim Durchlesen wusste ich, worum es eigentlich in dem kleinen Artikel geht. Nix nackige „Omma“. Die Großmutter war Stipperin - ohne R. Sie hat ihren Keks immer in den Kaffee gestippt, was der Autorin, Sabine Moseler-Worm, nur bei jedem zweiten Keks unfallfrei gelingt.

Da hat mir das Gehirn einen gehörigen Streich gespielt. Sinnestäuschung. Man liest, was man lesen möchte.

Donnerstag, 20. August 2015

Flüchtlinge und Leserbriefschreiber



Heute werde ich mal wieder vom Gutrentner zum Wutrentner.
Da macht doch tatsächlich ein Leserbriefschreiber heute in der NRZ im Zusammenhang mit Flüchtlingen eine Kosten-/ Nutzenrechnung auf. „Nützt uns, also Deutschland, die Einwanderung von Asylanten und Wirtschaftsflüchtlingen? Nein, sie nützt uns nicht, sie kostet Milliarden,“ schreibt ein Herr Hahn aus Duisburg.
Man stelle sich vor, die Länder, die während der Nazidiktatur Deutsche jüdischen Glaubens oder andere Verfolgte aufgenommen haben, hätten sich diese Frage gestellt. Nein, sie haben gehandelt und Greisen, Männern, Frauen und Kindern die Gaskammern in Deutschland erspart. Ihre Meinung, Herr Hahn, widerspricht unseren Werten, unserer Kultur, unserem Glauben, unserer Geschichte.
Aber vielleicht gibt es ja eine Antwort auf die inhumane Frage. Die Kinder der Flüchtlinge werden möglicherweise einmal die Renten in Deutschland sichern und Arbeiten übernehmen, für die sich in unserer Gesellschaft niemand mehr findet. Ich empfehle allen, die so denken wie der Schreiber aus Duisburg, die Novelle von Wilhelm Hauff: Das kalte Herz.
Und an die Adressen aller Leserbriefschreiber, die Andersdenkende gerne mit dem Begriff „Gutmenschen“ titulieren, sage ich: Ja, ich bin lieber ein guter Mensch als ein - Entschuldigung - Arschloch…

Foto: Das Foto zeigt meinen Vater (links) und seinen Freund im zerbombten Ruhrgebiet kurz nach dem Krieg. Er und meine Großeltern waren auch Flüchtlinge…aus Ostpreußen

Mittwoch, 19. August 2015

Der geilste Tag in meinem Leben…





Vor genau einem Jahr besuchte ich meinen schwer kranken kleinen Freund Moritz und seine Familie in Mühlheim a. d. Donau. Der Kleine wollte immer Scharfschütze beim SEK werden. Na ja, in seiner kindlichen Art. Wir wollten auch alle einmal Cowboy werden, obwohl – ich tendierte eher zum Indianer.

Moritz und seine Familie durften meinen Kollegen vom SEK Baden-Württemberg (BW) beim Üben über die Schulter schauen. Das war sein  Herzenswunsch. Ich hatte ihm das versprochen, als wir uns bei der McDonald's Kinderhilfe, Hundertwasserhaus im Grugapark, Ende 2013 kennenlernten. Weil der Kleine es Monate später nicht mehr bis nach Essen zum SEK schaffte, haben ich über einen Kollegen in Göppingen angefragt und eine Zusage bekommen.  

Seine Krankheit zeichnete ihn schon, die "coole" Sonnenbrille trug er nicht ohne Grund. Die "harten Jungs" wurden ganz weich und waren so nett zu ihm.

Am Abend sagte er zu seiner Mama im Bett: “Das war der geilste Tag in meinem Leben.“ 

In seinem kurzen Leben muss man leider im Nachhinein hinzufügen. Moritz starb genau drei Monate später im Alter von nur 9 Jahren. Es ist so traurig.

Moritz hat jedoch eins bewirkt, nämlich eine dicke Freundschaft zwischen seiner Familie und uns.  Ende des Monats reisen meine Frau und ich in den kleinen idyllischen Ort - Mühlheim an der Donau -  zum „Millemer Städtlefest“.

Und natürlich besuchen wir auch Moritz, unseren kleinen Scharfschützen…

 Fotos: August 2014 - der geilste Tag für Moritz beim SEK















Dienstag, 18. August 2015

Ich bleib’ hier…




„Immer mehr Rentner verbringen ihren Ruhestand im Ausland“. Diese Meldung rauschte gestern durch den Blätterwald und durch die Radioäther. Es sollen nach den Angaben der Rentenversicherung im vergangenen Jahr rund 225.000 gewesen sein. Warum das so ist, geht aus der Nachricht nicht hervor. Hintergründe - Fehlanzeige. Ob die Statistik überhaupt stimmt, bleibt dahin gestellt. Eigentlich ist die Agenturmeldung überflüssig wie ein Kropf.

Ich tauche wahrscheinlich als so genannter „Versorgungsberechtigter“ (Pensionär) in dieser Statistik erst gar nicht auf. 

Egal, wie ich heiße. Rentner, Versorgungsberechtigter. Pensionär. Hier sind das Klima gut und die Leute in Ordnung. Na ja, einigermaßen. Hier leben meine Familie, meine Freunde, meine Kätzchen, hier sind meine Vorfahren begraben, hier kann ich mich in meiner Muttersprache verständigen. Also, was soll ich in der Ferne?

Ich bleib auf alle Fälle im Lande…

Foto: Fest gemeißelt in der Erde steht die Lechner-Figur vor der Polizeiwache in Witten.Wir bleiben standhaft


Freitag, 14. August 2015

Superrentner…Superonkel…

Mein Onkel Oswald ist Rentner, seit 25 Jahren. Seinen 90. Geburtstag hat er jetzt in Bad Kissingen mit seiner Partnerin (75) gefeiert.
Oft sitzen wir zusammen in seiner Wohnung in Wanne-Eickel und plaudern. Einfach so - über Gott und die Welt. Von Rentner zu Superrentner.
Sechs oder auch mal acht Stunden später sitzen wir am Küchentisch. Wir diskutieren Themen der aktuellen Weltpolitik, wir reden über Griechenland, die Flüchtlingswelle, die Erbschaftssteuer. Er erzählt Familiengeschichten.
Wissbegierig frage ich ihn auch nach seinen jungen Jahren: “Oswald, wie war das damals bei den Nazis?“ Dann berichtet er ganz freimütig, wie er anfangs als Junge und Jugendlicher überzeugter Jungvolkführer war, wie er in einer Nacht den Glauben an Hitler und die Nazis verlor, weil seine Kameraden um ihn herum in Ostpreußen „wie die Fliegen starben“. Wie er mit 17 Jahren in den Krieg musste, wie seine Einheit aufgerieben wurde, wie er sich vier Wochen auf einem Gehöft versteckte und dann doch in russische Gefangenschaft geriet, wie er jeden Tag in Sibirien Tod erlebte (!) und wie er zwei Jahre später mit nur 36 (!) Kilogramm Körpergewicht nach Hause ins völlig zerbombte Ruhrgebiet kam, weil er als Arbeitskraft nichts mehr taugte, wie er in dieser Zeit entmenschlicht wurde.
„Hitler war ein Verbrecher, das System war verbrecherisch!“ Das soll heute jeder wissen, der nur ein Tick Gutes an dieser Zeit oder an nationalsozialistischen Ideen findet. Wenn er dies sagt, wird der Bruder meiner Mutter richtig wütend. Dann mag ich ihn ganz besonders, meinen Onkel.
Nach dem Krieg machte Oswald Distelrath Karriere als Kommunalbeamter in der Stadtverwaltung, zunächst in Wanne-Eickel, nach der Eingemeindung in Herne. Er wurde Sozialdemokrat und überzeugter Gewerkschafter.
Alle seine Frauen gingen früh. Mein Onkel hat jedoch nie den Lebenswillen verloren. Jetzt denkt er gerade nach, ob er noch einmal seine langjährige Lebensgefährtin Christa heiraten soll. Und das mit 90 Jahren.
Als Perspektive sagt er: „Mit geht es ganz gut, ich möchte so alt werden wie mein Vater.“ Der starb mit 98 Jahren.
So ist er, mein Onkel Oswald, einer der besten Zeitzeugen, vom Onkel zum Freund geworden, ein Superrentner, oder?

Foto: Mit 17 Jahren und jetzt mit 90 Jahren...

Mittwoch, 12. August 2015

...brennt mir unter den Nägeln



 

„Füße in die Freiheit...“ So lautet die Überschrift einer Kolumne in der heutigen Ausgabe meiner Tageszeitung Die Autorin beschreibt den Gang von Frauen in Flip-Flops. Sie kommt zum Ergebnis, dass „…wir Mädels laufen alle ein bisschen wie Donald-Duck.“ So weit - so gut.

Für mich gibt es in diesem Zusammenhang ein anderes Thema, das mir unter den Nägeln brennt. Und zwar unter den Zehnägeln. Männer in Sandalen sind für mich schon grenzwertig. Männer mit Sandalen in Socken und kurzen Hosen sind ebenfalls nicht der Hingucker.  Männer in Sandalen ohne Socken mit ungepflegten Zehnägeln überschreiten alle Grenzen der Geschmacklosigkeit (Gestern noch sehen müssen). Das ist Körperverletzung! Dann tragt lieber weiße Socken in eurer "Apostelbereifung", liebe Geschlechtsgenossen...

Tipp: Fachliche Fußpflege (Pediküre) etwa 20 Euro…

Foto: Ab in die Verbrecherkartei -  Männer mit ungepflegten Zehnägeln in „offener Trageweise“



Dienstag, 11. August 2015

Lohntütenball im Dirnenwohnheim




Polizistinnen und Polizisten befinden sich auf den Logenplätzen des Lebens. Glauben Sie mir. Mein Vater, Bruder und ich waren Polizisten, mein Sohn ist einer. An Familienfesten gab es immer eine Menge zum Schmunzeln, wenn Geschichten aus dem Polizeileben die Runde machten.  Eine davon ist diese:
Allerdings liegt fast 45 Jahre zurück. Als junger und „fertiger“ Polizist kam ich als Polizeihauptwachtmeister nach der Ausbildung nach Essen, im Alter von nur 18  Jahren. Ich war  Anfang der 70er Jahre zwar noch nicht volljährig – die Volljährigkeit trat erst mit 21 ein - aber schon mit allen Machtbefugnissen des Staates ausgestattet. 
Tatort:  Dirnenwohnheim – so hieß das Bordell damals tatsächlich – an der Stahlstraße. Dort gingen und gehen nach wie vor rund 200 Frauen in 17 Häusern dem ältesten Gewerbe der Welt nach. Los war dort immer etwas, besonders zum Monatsanfang, wenn es Geld gab. Zu Schichtbeginn im Nachtdienst absolvierten wir immer  einen „Stubendurchgang“, so nannten wir Polizisten die Kontrollfahrt durch die Sachgasse.  War hier etwas los, war in der Innenstadt was los. Die  Nacht wurde nicht langweilig.
Einsätze gab es eine Menge in der Stahlstraße, und sie waren bei den Polizisten sehr beliebt. Bis in die 1960er-Jahre existierte hier sogar eine kleine Wache. Meldete sich zum Beispiel die Einsatzleitstelle „Gruga“ mit dem Funkspruch: „Streit in der Stahlstraße, wer steht in der Nähe?“, meldeten sich fast alle Funkstreifen einsatzklar. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Meistens ging es bei den „sittenwidrigen“ Geschäften  – auch so hieß das damals – um Zahlungsstreitigkeiten:  zu teuer, zu schnell, zu lange, nicht wie vereinbart. Unsere Maßnahmen waren immer die gleichen: Personalienaustausch, Hinweis auf den Rechtsweg und fertig. 
Bei dem Einsatz, von dem ich jetzt berichte, war wohl niemand einsatzklar, so dass mein Kollege und ich den Einsatz „Stahlstraße – Streitigkeiten“, übernehmen mussten.
Zu dieser Zeit - zur Erinnerung: wir sind immer noch in den 70er-Jahren - wurde das Gehalt vieler Arbeiter in bar ausbezahlt, in der so genannten Lohntüte.  Da stand der Name drauf, drin waren die Geldscheine. Ein Girokonto brauchte man nicht unbedingt.  Daher auch das geflügelte Wort anfangs des Monats, wenn es Geld gegeben hatte, vom Lohntütenball. So manch einer verprasste nämlich sein Gehalt schon am Abend nach der Auszahlung oder machte mal einen kräftigen Zug durch die Gemeinde.
Zurück zu unserem Einsatz in der Stahlstraße 44. Ein Kunde (Freier) regte sich fürchterlich über den Preis in Höhe von 10 Mark für ein Glas Bier auf, das er am Rande seines eigentlichen Besuches bei der Hauswirtschafterin bestellt hatte. Den „Zehner“ dafür wollte er auf keinen Fall bezahlen und rief die Polizei. Klarer Fall von Zahlungsstreitigkeiten. Die eigentlichen Dienstleistungen, die er in dem Haus in Anspruch genommen hatte, waren offensichtlich in Ordnung gewesen. Denn darüber verlor er uns jungen Polizisten gegenüber kein Wort. Als er merkte, dass wir den Bierpreis auch nicht mindern konnten und ihn auf den Zivilweg hinwiesen, geriet er derart in Rage, dass er den gesamten Inhalt aus seiner Lohntüte herausnahm und der Hure mit den Worten:“ Jetzt kannste alles haben, “ ins Dekolleté stopfte. Das waren immerhin mehrere große Geldscheine gewesen. Die Frau drehte ab, ging weg und wir blieben mit dem Wüterich zurück.
Es vergingen nur wenige Minuten, als er sich über sein Tun im Klaren war. Fast 1.000 Mark hatte auf diese Art und Weise den Besitz gewechselt. Er verlangte jetzt weinerlich von uns die Rückführung seines Geldes.
Die Bewältigung einer solchen Situation samt rechtlicher Beurteilung war nie  Bestandteil meiner Ausbildung gewesen. So schauten wir uns zunächst ratlos an. „Selbst schuld!“, unser spontaner Kommentar. Das Einzige, was uns noch einfiel war der Spruch: „Geschenkt ist geschenkt, weggenommen in die Hölle gekommen!“ Hat der Freier das Geld nun der Frau  geschenkt? Hat sie es unterschlagen? Ein höchst komplizierter Rechtsfall. Wir wussten keine Lösung. Also fuhren wir mit dem Mann zur Wache.
Da gab es ja noch den Wach- und Einsatzleiter und das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB). Der Mann saß derweil auf der armen Sünderbank im Wachraum und heulte Rotz und Wasser.
Unser Chef hatte auch keine Lösung parat. Ein Blick ins Gesetzbuch erleichtert die Rechtsfindung, hörte ich oft auf der Polizeischule. Also schaute ich rein ins BGB. Seit dem weiß ich, dass Geschenke rückgängig gemacht werden können.  Also nix mit geschenkt ist geschenkt!
Wir fuhren zurück zur Stahlstraße. Die Hure gab generös knapp 100 Mark ihrem Freier zurück. „Mehr hat er mir nicht in den Ausschnitt gestopft“, war ihr Kommentar. Auch gutes Zureden und Appelle („Er ist doch Ehemann und Familienvater“) nutzten nichts. Die Frau blieb hart. Mehr als einen Hunderter rückte sie nicht raus. Die Folge: Sie bekam eine Anzeige wegen Unterschlagung.
Zurück blieben ein verzweifelter Ehemann und Vater, der in einem kurzen Moment die Kontrolle über sich verlor und zwei junge Polizisten mit einem unguten Gefühl. Nix mit Freund und Helfer. 
Wie der Fall später juristisch durch die Staatsanwaltschaft bewertet wurde, habe ich nie  erfahren. Auch nicht wie der Mann seiner Frau den Verlust seiner Lohntüte erklärte.
Gott sei Dank gibt es heute keine Geldtüten mehr. Allerdings -  mit einer Kreditkarte kann man 45 Jahre später auch ein Menge Unsinn anstellen.
Sex und crime. Es gäbe noch einige Geschichten rund um das älteste Gewerbe der Welt in der Stahlstraße zu erzählen, aber die gehören hier nicht hin. Oder doch? Vielleicht fällt mir ja noch eine ein.
       
Foto: Schlüssellochperspektive – Blick in die Stahlstraße. Die älteste Laufstraße in Deutschland. Hier bieten Frauen seit Anfang des 19. Jahrhunderts ihre Liebesdienste an





Sonntag, 9. August 2015

„Mal Wutrentner, mal Gutrentner…“

„Gut“ ist doch eigentlich ein schönes Adjektiv und Mensch ein wertfreies Substantiv. Zusammengesetzt wird es allerdings oft abwertend benutzt, meist in Leserbriefen oder in den Kommentaren der sozialen Netzwerke. Nach dem Motto: Der Gutmensch (Unwort 2011) hat keine Ahnung, weiß nicht wovon der spricht, ist naiv. Andersdenkende  werden damit verunglimpft.

Auch mir sagt man das manchmal nach - Gutmensch. Ich werte es allerdings als Kompliment. Lieber bin ich ein guter Mensch als ein böser.

Einen Spitznamen, der in die gleiche Richtung geht,  habe ich vor vielen Jahren während meiner Zeit beim SEK von den Kollegen augenzwinkend erhalten. „Sozialarbeiter vom Abendteuerspielplatz“. Den fand ich gar nicht so schlecht.

Über sich selbst zu urteilen ist schwer („Man tut es auch nicht“).

Unsere Werdener Nachrichten, älteste Zeitung des Ruhrgebiets, hat in der vorletzten Ausgabe unter der Überschrift „Mal Wutrentner, mal Gutrentner“ den Versuch unternommen...


Freitag, 7. August 2015

Berliner Bär


Fast (alle) Essener kennen sie – die Stahlstraße. Der Begriff „Stahl“ ist in Essen Programm. Die Stadt ist auf Kohle und Stahl gebaut. Herr Hitler missbrauchte die hiesige Metallproduktion mit dem Halbsatz: „…der deutsche Junge der Zukunft muss […] hart wie Kruppstahl sein.“

Zurück zur Stahlstraße. Die Sackgasse (!) ist eine so genannte Laufstraße. Die älteste in Deutschland. Seit über 100 Jahren bieten Frauen dort ihre Dienste an. Früher nannte man diesen Ort Dirnenwohnheim.

Meine ersten Polizeischritte absolvierte ich - noch nicht volljährig - mit 18 Jahren als Oberwachtmeister in der Essener Innenstadt, meist an der Hand eines älteren Kollegen der „Gerlingwache“. Das war 1971. Die Volljährigkeit begann damals mit 21 Lebensjahren.
Manchmal wurden wir von einsamen auswärtigen Autofahrern mit fremdem Städtekennzeichen ein bisschen verschämt nach dem Weg zum Bordell an der Stahlstraße gefragt.

Polizeiobermeister Tom J. antwortete immer im gespielten stregen Amtston wie folgt:„Bordell? Haben wir in Essen nicht. Es gibt nur einen Puff. Also, Sie fahren jetzt immer geradeaus. Dann kommen Sie zu einem großen runden Platz. Das ist der Berliner Platz. Da steht ein Bär. Und wo sein Schwanz hinzeigt, da ist der Puff.“

Meist stiegen die Männer danach mit roten Ohren ins Auto.

Die Wegbeschreibung trifft heute noch zu. Nach einigen Jahren Abwesenheit steht der Bär wieder an seiner alten Stelle. Nur im Gegensatz zu früher befindet sich jetzt zwischen ihm und der Stahlstraße das Arbeitsamt. Glauben Sie nicht?

„Also, Sie fahren jetzt immer geradeaus…“

Fotos: Blick in die Stahlstraße in Richtung Uni und Rathaus. Der Berliner Bär war während der Umbauphase des Berliner Platzes verschwunden. Jetzt steht er wieder auf seinem angestammten Platz.


Donnerstag, 6. August 2015

Gymnastik auf Schalke…


In dieser Woche waren wir „auf Schalke“ beim Training. Sabine, Justin und ich.  Während der Vorgänger vom neuen Trainer noch gerne abgeschottet von den Fans im alten Parkstadion seine Profis über den Rasen scheuchte, sucht Rene Breitenreiter bewusst die Öffentlichkeit. Fannähe.  

Meist befinden sich Rentner vormittags auf dem riesigen Gelände in Gelsenkirchen und schauen den Profis zu. Da zurzeit aber noch die Schulferien andauern, war es ein Treffen durch alle Generationen.  

Trotzdem schnappte ich von einem älteren Zaungast einen typischen Rentner-Spruch auf: “ Boah ey, wat ist dat denn. Denen kannse ja beim Laufen die Schuhe besohlen. Die bewegen sich wie bei uns inne Gymnastikgruppe.“
 




Dienstag, 4. August 2015

Plötzlich bist Du tot. Und dann?



Es geht so schnell. Plötzlich bist du tot. Dann müssen deine Lieben alles regeln und  sie haben kaum Zeit kaum zum Abschiednehmen.

In meinem Regal steht seit meinem Hubschrauberabsturz 1981 ein Ordner mit der Aufschrift: Sterbeakte, Tod, Beerdigung. Meine Frau und meine erwachsenen Kinder sollen wissen, was ich mir wünsche - bis hin zur Musik. Auf meiner „Playlist“ steht unter anderem der Song „Over The Rainbow“ von Eva Cassidy. Sie starb sehr jung  und wurde mit dem Song posthum weltbekannt. Einen Allerweltsspruch in der Todesanzeige soll es auch nicht geben. Der Niederländer Herman van Veen, den wir so lieben,  hat viele kluge Sachen gesagt.

Meine Frau und ich sind vor ein paar Wochen zu dem Bestatter unseres Vertrauens gegangen, haben schon einmal einiges vorgeplant und durchgesprochen. Meine letzte Anschrift wird lauten Scheppener Weg 40b (Bergfriedhof). Das weiß ich jetzt schon. Und wenn ich heute dahin „umziehen“ müsste, wären die Kosten überschaubar, auch weil wir dort schon ein kleines Grundstück angemietet haben.  Denn wie wir alle wissen: Selbst der Tod ist nicht umsonst. Im Gegenteil.  

Übrigens: Wir hatten sehr viel Spaß bei dem Geschäftstermin. Keine Angst. Uns geht es gut. Ihr müsst mich hier im Rentnerblog noch eine ganze Weile ertragen. Versprochen…



Montag, 3. August 2015

...traurig. Jörg Bartel (58) ist tot



Wir sind uns fast jeden Samstag begegnet. Bei uns im Wohnzimmer auf der Couch. Jörg Bartel und ich. Zugegeben nie persönlich. Ein Ritual. Ich las samstags mit Begeisterung die Kolumne zum Wochenende „Kolumbus & Co“ von dem Kulturchef der Neuen Ruhr-/ Rhein Zeitung (NRZ). So lernte ich ihn, seine Tochter, seinen Sohn, seine Frau, seine Eltern, seine Katzen, seine Garage und die Olivenbäume in Apulien kennen. Oft erkannte ich mich in seinen Gedanken wieder.

Ich kannte ihn auch persönlich aus den 1980er-Jahren. Er war junger Polizeireporter in der NRZ-Lokalredaktion, ich war junger Leiter der Pressestelle der Essener Polizei. Wir haben fast täglich miteinander gesprochen. Telefonisch. Es gab noch keine Faxe, Computer, Tablets, Smartphones, E-Mails.

So lernte ich Jörg Bartel schätzen. Seine Fairness, seine journalistische Gelassenheit, seine Sprache, seinen Schreibstil, seinen satirischen Humor. Aus einer profanen Polizeimeldung konnte schon mal eine Glosse werden, aus einem gestohlen Sitzmöbel wurde dann „ Der Stuhlgang“. Das gefiel mir.

Dann trennten sich beruflich unsere Wege. Die Seelenverwandtschaft blieb bestehen, nicht nur durch meine samstägliche Lesestunde mit ihm auf der Wohnzimmercouch.

Das Tröstliche. Jörg Bartel wird in seinen Geschichten weiterleben.

Foto: Er hätte bestimmt eine diebische (!) Freude daran gehabt, wenn ich als Ex-Polizist klaue. Das tue ich jetzt für meinen Rentnerblog. Ein wunderbares Foto von dem Fotografen Ulrich von Born. Es zeigt Jörg Bartel mit seinem geliebten Kater Indiana Jones.

Rund 400 geballte Hilfsbereitschaft auf einen Haufen






Wieder zurück. Zur Sternfahrt 2015 der McDonald’s Kinderhilfe trafen sich am Wochenende in Bonn und St. Augustin die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der 22 Häuser und 5 Oasen, die es in Deutschland gibt. Es waren drei wunderschöne und informative Tage.

Diese gemeinnützigen Einrichtungen bieten Eltern und Angehörigen von schwer kranken Kindern ein Zuhause auf Zeit. Weil sich die Kleinen trotz ihrer Krankheit wohlfühlen, wenn Mama und Papa in der Nähe sind. Sie werden einfach schneller gesund.  

Meine Frau und ich arbeiten seit vielen Jahren in dem schönsten Haus in Essen, dem Hundertwasserhaus im Grugapark. Dort gibt es 17 Apartments für die Angehörigen der Kinder. Das farbenprächtige Haus war der letzte Entwurf des weltbekannten Künstlers Friedensreich Hundertwasser.

Die Jahrestreffen, dieses Mal in der ehemaligen Bundeshauptstadt und St. Augustin, sind ein Dankeschön der Stiftung für ihre ehrenamtlichen Helfer. 

Mein Tipp an alle Rentner: „Arbeitet irgendwo ehrenamtlich! Denn helfen macht riesigen Spaß.“

Infos:  http://www.mcdonalds-kinderhilfe.org

Fotos: Impressionen vom Jahrestreffen der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der McDonald's Kinderhilfe. © Tin Kai Chan (Gruppenaufnahme) und © Kathleen Höhle