In
nur fünfeinhalb Jahren war unsere sechsköpfige Familie komplett. Vater, Mutter,
Dieter (1947), Hartmut (1948), Manfred (1950) und Uwe (1953). Was wäre wohl aus mir „Dagmar“
geworden?
Wir
wohnten direkt am Polizeipräsidium in Gelsenkirchen-Buer. Parterre. Unser Wohnhaus,
Teil der so genannten Polizeistadt, hatte einen schmalen langen Hinterhof. Eine
rote Backsteinmauer trennte ihn vom Gelände des Polizeipräsidiums. Dahinter war
der schönste Spielplatz der Welt. Pferdestall mit Heuboden, großer Sportplatz
mit Sandgrube, nicht verschlossene Einsatzfahrzeuge, Schießstand (!). Alle
Polizeikinder unserer Siedlung spielten hier.
Mein
Vater arbeitete im polizeiärztlichen
Dienst (das hörte er immer gerne), wir sagten Sanitätsstelle. Er konnte von
seiner Dienstelle schräg rüber zu unserem Küchenfenster „spucken“, Luftlinie
etwa 10 Meter. Wenn Mutter mal wieder mit uns vier Jungs nicht klar kam, rief
sie: "Waaalter, die Kinder..."
Sein
Fenster in der 1. Etage öffnete sich dann. Es schallte über den Hof. "Wartet
nur, wenn ich nach Hause komm’, dann gibt’s Saures." Manchmal hatte er
nach Dienstschluss seine pädagogische Androhung vergessen, er blieb in der
Polizeikantine hängen. Diese befand sich direkt unter der Sanitätsstelle und
war in der Regel nach Büroschluss voll, voller (!) „grüner“ durstiger Männer. Auch
während der Dienstzeit liefen die Geschäfte für den Kantinenwirt nicht
schlecht. Die Nachkriegsgeneration war
sehr, sehr durstig.
An
solchen Tagen schaute meine Mutter ab 17.00 Uhr gebannt aus dem Küchenfenster
zum Ausgang des Dienstgebäudes. Ob Vater
den direkten Weg nach Hause findet? Wir Kinder wussten schon, wo Papa und seine
Kollegen gerne den Feierabend verbrachten.
Wenn
er nicht heim kam, sagte Mutter zu dem Ältesten: "Geh' rüber und hol’ Papa."
Sie befürchtete immer, dass Vater das recht spärliche Polizistengehalt (etwa
400 Mark) in Gerstensaft umsetzte. So wie viele Bergbaufrauen im Ruhrgebiet,
die am Werktor standen, wenn’s am Monatsanfang die „Lohntüten“ gab.
Dieter,
der älteste der vier Jungs, kletterte über die Mauer, ging in die Kantine und sah
Papa in Uniform mit seinen Kollegen an der geschwungenen Theke stehen. Vater
bestellte dann beim Wirt, Herrn Ottenströer, eine rote sprudelnde Limonade. „Zitsch“
- 10 Pfennig. Mein großer Bruder trank aus und wurde mit den Worten: "Sag’
Mutti, ich komme gleich", heim geschickt. Nichts passierte. Nach gewisser
Zeit war der zweitälteste Hartmut dran: "Geh' rüber und hol' Papa." Der
anschließende Ablauf und Dialog zwischen Vater und Sohn verlief ähnlich „Für
den Jungen eine Brause, sag’ Mama, ich komme gleich.“ Ich kürze an dieser
Stelle ab. Es folgte Manfred, der Dritte im Bunde, und zu allerletzt der Jüngste – ich. „Lütti“,
so mein familiärer Spitzname, bekam und schlürfte wie seine Vorgänger die rote
Brause. Sie wissen schon, was jetzt folgte. Und am Ende des Tages?
Meine
Mutter machte uns bettfertig und sich anschließend ausgehfein, ging - sprang
natürlich nicht über die Mauer - rüber in die Polizeikantine
Beide
kamen dann gemeinsam irgendwann heim, während wir vier Geschwister in einem
Kinderzimmer von der roten Limonade träumten.
P.S.
Meine Eltern waren 66 Jahre verheiratet
Foto: Mein Vater und Herr Schneider an der Theke in der Polizeikantine. Im Ausschank: "Stern Pils"
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen