Polizistinnen
und Polizisten befinden sich auf den Logenplätzen des Lebens. Glauben Sie mir.
Mein Vater, Bruder und ich waren Polizisten, mein Sohn ist einer. An
Familienfesten gab es immer eine Menge zum Schmunzeln, wenn Geschichten aus dem
Polizeileben die Runde machten. Eine
davon ist diese:
Allerdings liegt
fast 45 Jahre zurück. Als junger und „fertiger“ Polizist kam ich als
Polizeihauptwachtmeister nach der Ausbildung nach Essen, im Alter von nur
18 Jahren. Ich war Anfang der 70er
Jahre zwar noch nicht volljährig – die Volljährigkeit trat erst mit 21 ein - aber schon mit allen
Machtbefugnissen des Staates ausgestattet.
Tatort:
Dirnenwohnheim – so hieß das Bordell damals tatsächlich – an der Stahlstraße.
Dort gingen und gehen nach wie vor rund 200 Frauen in 17 Häusern dem ältesten
Gewerbe der Welt nach. Los war dort immer etwas, besonders zum Monatsanfang,
wenn es Geld gab. Zu Schichtbeginn im Nachtdienst absolvierten wir immer einen „Stubendurchgang“, so nannten wir Polizisten die Kontrollfahrt durch die
Sachgasse. War hier etwas los, war in der Innenstadt was los. Die
Nacht wurde nicht langweilig.
Einsätze gab es
eine Menge in der Stahlstraße, und sie waren bei den Polizisten sehr beliebt.
Bis in die 1960er-Jahre existierte hier sogar eine kleine Wache. Meldete sich
zum Beispiel die Einsatzleitstelle „Gruga“ mit dem Funkspruch: „Streit in der
Stahlstraße, wer steht in der Nähe?“, meldeten sich fast alle Funkstreifen
einsatzklar. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Meistens ging es bei den
„sittenwidrigen“ Geschäften – auch so
hieß das damals – um Zahlungsstreitigkeiten: zu teuer, zu schnell, zu
lange, nicht wie vereinbart. Unsere Maßnahmen waren immer die gleichen:
Personalienaustausch, Hinweis auf den Rechtsweg und fertig.
Bei dem Einsatz,
von dem ich jetzt berichte, war wohl niemand einsatzklar, so dass mein Kollege
und ich den Einsatz „Stahlstraße – Streitigkeiten“, übernehmen mussten.
Zu dieser Zeit -
zur Erinnerung: wir sind immer
noch in den 70er-Jahren - wurde das Gehalt vieler Arbeiter in bar ausbezahlt,
in der so genannten Lohntüte. Da stand
der Name drauf, drin waren die Geldscheine. Ein Girokonto brauchte man nicht
unbedingt. Daher auch das geflügelte Wort anfangs des Monats, wenn es
Geld gegeben hatte, vom Lohntütenball. So manch einer verprasste nämlich sein
Gehalt schon am Abend nach der Auszahlung oder machte mal einen kräftigen Zug
durch die Gemeinde.
Zurück zu
unserem Einsatz in der Stahlstraße 44. Ein Kunde (Freier) regte sich
fürchterlich über den Preis in Höhe von 10 Mark für ein Glas Bier auf, das er
am Rande seines eigentlichen Besuches bei der Hauswirtschafterin bestellt
hatte. Den „Zehner“ dafür wollte er auf
keinen Fall bezahlen und rief die Polizei. Klarer Fall von
Zahlungsstreitigkeiten. Die eigentlichen Dienstleistungen, die er in dem Haus
in Anspruch genommen hatte, waren offensichtlich in Ordnung gewesen. Denn
darüber verlor er uns jungen Polizisten gegenüber kein Wort. Als er merkte,
dass wir den Bierpreis auch nicht mindern konnten und ihn auf den Zivilweg
hinwiesen, geriet er derart in Rage, dass er den gesamten Inhalt aus seiner
Lohntüte herausnahm und der Hure mit den Worten:“ Jetzt kannste alles haben, “
ins Dekolleté stopfte. Das waren immerhin mehrere große Geldscheine gewesen.
Die Frau drehte ab, ging weg und wir blieben mit dem Wüterich zurück.
Es vergingen nur
wenige Minuten, als er sich über sein Tun im Klaren war. Fast 1.000 Mark hatte
auf diese Art und Weise den Besitz gewechselt. Er verlangte jetzt weinerlich
von uns die Rückführung seines Geldes.
Die Bewältigung
einer solchen Situation samt rechtlicher Beurteilung war nie Bestandteil
meiner Ausbildung gewesen. So schauten wir uns zunächst ratlos an. „Selbst
schuld!“, unser spontaner Kommentar. Das Einzige, was uns noch einfiel war der
Spruch: „Geschenkt ist geschenkt, weggenommen in die Hölle gekommen!“ Hat der
Freier das Geld nun der Frau geschenkt?
Hat sie es unterschlagen? Ein höchst komplizierter Rechtsfall. Wir wussten
keine Lösung. Also fuhren wir mit dem Mann zur Wache.
Da gab es ja
noch den Wach- und Einsatzleiter und das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB). Der Mann
saß derweil auf der armen Sünderbank im Wachraum und heulte Rotz und Wasser.
Unser Chef hatte
auch keine Lösung parat. Ein Blick ins Gesetzbuch erleichtert die
Rechtsfindung, hörte ich oft auf der Polizeischule. Also schaute ich rein ins
BGB. Seit dem weiß ich, dass Geschenke rückgängig gemacht werden können.
Also nix mit geschenkt ist geschenkt!
Wir fuhren
zurück zur Stahlstraße. Die Hure gab generös knapp 100 Mark ihrem Freier
zurück. „Mehr hat er mir nicht in den Ausschnitt gestopft“, war ihr Kommentar.
Auch gutes Zureden und Appelle („Er ist doch Ehemann und Familienvater“) nutzten nichts. Die Frau blieb hart. Mehr
als einen Hunderter rückte sie nicht raus. Die Folge: Sie bekam eine Anzeige
wegen Unterschlagung.
Zurück blieben
ein verzweifelter Ehemann und Vater, der in einem kurzen Moment die Kontrolle
über sich verlor und zwei junge Polizisten mit einem unguten Gefühl. Nix mit
Freund und Helfer.
Wie der Fall
später juristisch durch die Staatsanwaltschaft bewertet wurde, habe ich
nie erfahren. Auch nicht wie der Mann seiner Frau den Verlust seiner
Lohntüte erklärte.
Gott sei Dank
gibt es heute keine Geldtüten mehr. Allerdings - mit einer Kreditkarte kann man 45 Jahre
später auch ein Menge Unsinn anstellen.
Sex und crime.
Es gäbe noch einige Geschichten
rund um das älteste Gewerbe der Welt in der Stahlstraße zu erzählen, aber die
gehören hier nicht hin. Oder doch? Vielleicht fällt mir ja noch eine ein.
Foto:
Schlüssellochperspektive – Blick in die Stahlstraße. Die älteste Laufstraße in
Deutschland. Hier bieten Frauen seit Anfang des 19. Jahrhunderts ihre
Liebesdienste an