Freitag, 24. Februar 2023

Oppas Krieg

 

Wenn Oppa über den Krieg erzählt. Richtig gelesen. Oppa mit zwei P, und ich habe nicht den Finger zu lange auf der Tastatur oben rechts gehalten. So spricht man den Begriff im Ruhrgebiet aus. Das langgezogene O schmerzt in unseren Ohren. Genug der Vorrede.

 Oppa erlebte und überlebte zwei Weltkriege. Von seinem Krieg erfuhr ich als kleiner Junge. Meine Eltern „parkten“ häufig abwechselnd meine drei Brüder und mich am Wochenende gerne mal bei Omma und Oppa Wanne, wie wir Kinder sie nannten. Eigentlich hießen sie Caroline (Lina) und Wilhelm (Willi). Und wohnten in Wanne-Eickel. Jetzt wissen wir auch die Namensherkunft.

Wilhelm Distelrath 1914 als stolzer Gardeschütze

Für uns Kinder eine schöne Auszeit von daheim. Oppa brachte uns Schach und diverse Kartenspiele bei, Omma verwöhnte uns mit allerlei Speisen und Süßigkeiten. Und gemeinsam guckten wir samstags den „Blauen Bock“.

 Der Sonntagmorgen hatte auch sein Ritual. Omma bereitete in der Küche das Frühstück vor. Im Radio lief evangelischer Gottesdienst. Sie war textsicher und sang jedes Kirchenlied fehlerfrei, lautstark mit. Ich schlüpfte unter das riesige Oberbett von Oppa.

Und er erzählte seine Geschichten. Gerne vom 1. Weltkrieg. Wie sich die deutschen und französischen Soldaten in Gräben nicht weit voneinander gegenüberlagen, beschossen und manchmal auch mit dem Bajonett erstachen. Dann holte er aus dem Nachttisch eine Bleikugel. Die hatte ein Arzt ihm aus der Lunge entfernt, ein so genanntes Schrabnellgeschoss. Da man dachte, der junge Soldat Wilhelm Distelrath aus Gelsenkirchen sei tödlich getroffen, landete Oppa aufgereiht bei den gefallenen Kameraden in einem riesigen Zelt. Kurz bevor sie zur letzten Ruhestätte im Feindesland begraben werden sollten, musste der Regimentsarzt noch eine Leichenschau vornehmen. Als er in Höhe des jungen Wilhelm stand, musste dieser leicht hüsteln. „Der lebt noch, ab ins Lazarett“, soll der Arzt zackig gesagt haben. So überlebte mein Großvater den 1. Weltkrieg. Die Geschichte machte mir damals keine Angst. Auch deshalb nicht, weil Oppa sie so zurückhaltend erzählte. Die Märchenstunde wurde durch Ommas Ruf aus der Küche beendet: „Frühstück ist fertig.“ 

Opa Wanne im Kreise seiner Kameraden

 Den zweiten Weltkrieg verbrachte Oppa in Wanne-Eickel. Tagsüber arbeitete er als Rangierer am Bahnhof, die Bombennächte der Alliierten verbrachten Omma und er – manchmal auch mit Tochter Katharina - im Bunker. Sein Sohn Oswald war Soldat. Nach einem Bombenangriff kamen die Großeltern zurück zum Wohnhaus. Nur, es gab es nicht mehr. Eine Bombe der Engländer hatte ganze Arbeit geleistet. Oppa Wanne fischte aus den Trümmern kleinere Habseligkeiten und einen Kuchen, den Omma noch vor dem hektischen Aufbruch in den Hochbunker gebacken hatte. Am 8. Mai 1945 wurde Deutschland von den Alliierten von einem Verbrechersystem endlich befreit. Der Krieg war beendet. Oppa Wanne wurde 97 Jahre alt.

Opa Wanne im  hohen Alter - auch dieser Schrank hat eine Kriegsgeschichte
 Seit fast 80 Jahren leben wir in Deutschland in Frieden. Zwar existierte immer dieser West-Ost-Konflikt. Und 1963 standen sich in Berlin amerikanische und russische Panzer gegenüber. Trotzdem, es blieb friedlich. Jetzt wütet wieder ein Krieg in Europa. Begonnen und angezettelt von einem kleinen Mann, der mit seiner Entourage im warmen Moskauer Palast residiert.

Genau vor einem Jahr begann der Überfall auf die Ukraine. Menschen sterben qualvoll, Frauen werden vergewaltigt, Kinder verschleppt. Soldaten beider Seiten sterben zu Tausenden. Auf den Weg zum Frieden setzen Realpolitiker auf Waffenlieferung für die angegriffene Ukraine, die anderen auf Verhandlungen.


 

Freitag, 17. Februar 2023

Ein ganz besonderes Geschenk

 

Es gibt sprachlose Momente im Leben. So einen habe ich heute erlebt. An meinem 70. Geburtstag. Viele, ganz viele, Menschen haben mir gratuliert. Kein Wunder, wenn man im sozialen Netzwerk seit Jahren unterwegs ist. Man hat viele „Freunde und Freundinnen“ darin. Eine heißt Selma Poljak Dedić. Sie und ihre Familie haben meine Frau und ich bei der Kinderhilfe im Hundertwasserhaus kennengelernt. Ihr Sohn Emir ist krank, schwer krank. Die Familie aus Linz stammt ursprünglich aus Bosnien, während des Balkankriegs vertrieben und in Österreich gestrandet. Selma schenkt mir heute zum Geburtstag einen Text. Ich weiß durch ihre Beiträge im Netzwerk, dass sie gut schreiben und formulieren kann. In ihrer Muttersprache. Ich lasse die Texte mit Hilfe von Google übersetzen. Auch wenn sie in Deutsch nicht so ausdrucksstark sein können. Trotzdem begeistern sie mich. Im Mittelpunkt ihrer Gedanken steht meist Emir, ihr schwer kranker Sohn, aber auch ihre Tochter Hana und ihr Mann. Die Österreicher würden sagen, Emir, ein braver Bub. In Hochdeutsch übersetzt: Emir, ein tapferer Junge.  Selma über ihn am am Internationalen Tag krebskranker Kinder : "Mehr gereift als viele Erwachsene, fest und stark wie ein Grat immer vom Wasser getröstet, mein Emir, der Held meines Lebens." Von diesen kleinen, starken Geschöpfen haben wir in der Kinderhilfe viele kennenlernen dürfen. Auch wenn es manche nicht geschafft haben. So wie Moritz (8), Samantha (11) oder Theo (8).Heute bin ich 70 Jahre alt geworden und bekomme dieses wunderbare Geschenk von Selma. Zeilen, die ich mit euch teilen möchte, weil sie so kraftvoll, so sensibel und liebevoll formuliert sind. Als älterer Herr bin ich gerührt von diesem schönen Geschenk, das durch ein materielles nicht getoppt werden kann. Und es ist mir nicht peinlich zu sagen, dass meine Augen feucht wurden. Danke, liebe Selma.

 

Selma Poljak Dedić 2018


 Selma schreibt:

 Oft trifft man ganz tolle Menschen die einem in guter Erinnerung bleiben, einem das gute Bauchgefühl vermitteln, beim Gedanken an sie ein Lächeln auf die Lippen zaubern und das alles in ganz, ganz schweren Lebenssituationen.

In so einer unerwünschten Situation haben wir ihn kennengelernt, wir kamen in seiner Heimatstadt Essen an, mit ganz viel Ungewissheit und Angst im schweren Gepäck. Viele ganz tolle und bemühte Menschen haben uns damals im Essener Ronald McDonald Haus empfangen, haben sich um uns gekümmert, haben uns bekocht und haben ihr Bestes gegeben, um dieses Zuhause auf Zeit ein bisschen mehr heimelig zu machen….und da war auch er, Woche für Woche kam er mit seiner liebenswürdigen Frau und kümmerte sich um Menschen dort auf seine eigene und besondere Art.

Die etwas andere gute Seele dieses Hauses.

Ich glaube, dass es kein Kind oder keine Familie im schönsten Haus von Essen gibt, die nicht durch sein Objektiv verewigt wurde.

Durch seinen früher ausgeübten Beruf sorgte er für eine gewisse Ordnung und Recht, eine bestimmte Sicherheit in dieser unsicheren Zeit, er strahlte so viel positive Energie und Hoffnung aus und seine natürliche Neugier und Wissbegierde war und ist unersättlich. Er interessierte sich für Menschen, ihre Geschichten, wie sie sind, woher sie kommen, wie sie die Welt sehen und erleben, wo sie hin möchten? Manchmal war es wie ein liebevolles "Verhör", dabei konnte er nicht anders und merkte sich so viel Wichtiges und Nebensächliches, um das nächste Mal wieder genau dort anknüpfen zu können. Dadurch vermittelte er den Menschen das Gefühl, das sie mehr sind und noch immer ein anderes Leben außerhalb der bunten Mauern haben, ein Leben welches danach wieder auf sie wartet.

Jahre vergingen und jedes Mal, wenn wir wieder dort waren, kam er vorbei, wollte ein Update, wollte wissen wie es uns geht, das schätzte ich immer sehr.

Wie es das Schicksal haben wollte, kam er dann leider selbst in Versuchung und nahm es wie die Kinder des Ronald McDonald Hauses tapfer mit dieser elendig grausamen Krankheit auf. Jetzt nach dieser intensiven Zeit kann er die Menschen aus dem bunten Haus noch besser verstehen und spüren, kann die Geschichten noch mehr nachvollziehen.

Und weil das Leben nur den Starken, Tapferen und Unerschrockenen immer eine weitere Chance gibt, bekam auch er ein zweites, wenn auch anderes Leben und ich freue mich dass es ihm heute gut geht, dass er Pläne schmiedet und Reisen plant, das Leben genießt, liest und uns seine Sicht der Dinge auf seiner Facebook Wand teilt.

Heute feiert er einen runden Geburtstag und ich freue mich mit und für ihn, dass er das kann und darf. Ich freue mich auf ein weiteres Wiedersehen, auf ein wie immer gutes Gespräch und auf viel Lachen, bis dorthin wünsche ich dir viel Gesundheit, Freude, Neugier, Zufriedenheit, Glück und ganz viele tolle Gespräche mit besonderen Menschen.  Alles Gute zu deinem 70. Geburtstag lieber Uwe Klein!

Es umarmen dich die Österreicher mit bosnischen Wurzeln, auf bald, Servus und pass auf dich auf.“

 

 

 

Mittwoch, 8. Februar 2023

Vor 35 Jahren - Flugzeugabsturz im Ruhrtal

 

Essen-Kettwig: Am 8. Februar 1988, um 7.58Uhr, kam es im Ruhrtal zur Katastrophe. Die Maschine Flamingo 108 der Nürnberger Flugdienste auf dem Weg von Hannover nach Düsseldorf wurde von einem Blitz getroffen. Die Instrumente fielen aus, der Metroliner stürzte ab. Der Pilot, die Co-Pilotin und 19 Passagiere starben.

Für die Essener Polizei und alle am Einsatz Beteiligten (Feuerwehr, Technisches Hilfswerk, Rechtsmediziner u. a.) eine schwere Aufgabe.  Zum Beispiel für Werner Jacoby, damals Leiter des 3. Kommissariats und stellvertretender Leiter der Ermittlungskommission. Vor Ort war er für die Asservatensammelstelle verantwortlich. Rund 5000 Gegenstände wurden dort in einer Scheune zwischengelagert und archiviert, darunter wertvolle Gegenstände wie z.B. eine Rolex-Uhr und verschiedene Schmuckstücke, die später den Angehörigen ausgehändigt werden mussten. Auf Bitten vom damaligen Polizeipräsident Dr. Max Bloser suchte der Erste Kriminalhauptkommissar alle Angehörigen in Niedersachsen auf. Was sollte er auf die Frage der Trauernden, haben sie meinen Liebsten noch gesehen, antworten?

Kalter, regnerischer Wintertag - Der Unglücksort in den Ruhrwiesen
 Die Identifizierung aller Verunglückten in der Rechtsmedizin mit Hilfe von Kollegen des Bundeskriminalamtes glich einer Puzzlearbeit. Es erfolgte anhand von Zahnschemata, Fingerabdrücken, persönlichen Gegenständen und Befragungen. DNA-Untersuchungen waren vor 35 Jahren noch kein Standard.

Ebenfalls berichtete Heribert Schäfersküpper – damals beim Verkehrsdienst - von dem Unglückstag. Er war einer der Ersten am Absturzort. Die Maschine war auseinandergebrochen. Überall in der nassen  Wiese waren die geschundenen Körper verteilt.

Auf dem Wrackteil zu lesen NFD - Nürnberger Flugdienst

 Ich versuchte als „Alleinkämpfer“ mit Unterstützung meiner Kollegin Sonja Kirsch, die Pressefragen aus der ganzen Republik zu beantworten und musste für den selben Tag eine Pressekonferenz in Mülheim vorbereiten.. Telefax, Internet waren 1988 noch für die Polizei ein Fremdwort.

Erst später stellte sich heraus, dass der Absturzort auf Essener Gebiet lag und nicht in Mülheim an der Ruhr, wie der damalige Wachleiter von Kettwig, „Kuddel“ Hansen, vermutete. Die Totenscheine mussten danach umgeschrieben werden.

Die Fotos sind Screenshots von der Dokumentation des Beweissicherungstrupps  der Einsatzhundertschaft.

Aktuell ist zu diesem Flugzeugabsturz jetzt ein Podcast veröffentlich worden:

https://flugforensik.de/2023/01/19/episode-10-flamingo-108-vom-blitz-getroffen/

In Sichtweise die Autobahnbrücke der A 52

Der Tatortfotograf Horst Lang

Die beiden Todesermittler Jürgen Springer und Detlef Kerzl

Blick in die Rechtmedizin

Fingerabdrücke bei einem Opfer

Die zusammengesetzte Maschine

Einer der Ermittler - Erich Proff