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Mittwoch, 29. Dezember 2021

Claude und andere Mädchen

Vorwort:

Ich habe einen Mitautor gewonnen. Nach den Veröffentlichungen meiner Polizeigeschichten rund um die Stahlstraße bekam ich gestern den folgenden Tatsachenbericht von meinem Ex-Kollegen Wolfgang Dinsing. Der 73-Jährige war lange Jahre bei der Essener Kripo, anfangs auf der Kriminalwache, später beim Einbruchskommissariat als Leiter des Drogenkommissariats. Die letzten Jahre war der Erste Kriminalhauptkommissar Chef der Todesermittler.

Claude und andere Mädchen von Wolfgang Dinsing

Anfang der 1970er-Jahre. Claude arbeitete in der Essener Stahlstraße als Domina. Sie war lesbisch und in jungen Jahren französische Meisterin im Rennradfahren gewesen. Ihre Zuhälterin war eine Hausfrau aus Bredeney. Es lag ein Haftbefehl aus Badem Württemberg gegen sie vor. Vom Amtsgericht Bad Säckingen. Wegen sexueller Nötigung. Zur Vollstreckung des Haftbefehles wurden zwei besonders moralisch gefestigte Beamte der „Fahndung“ entsandt. Einer davon war ich. Der Grund laut Haftbefehl: Claude hatte eine Schönheitstänzerin in einem Nachtclub in der Kleinstadt in der Garderobe eingesperrt und sexuell belästigt. Sie hatte ihr Opfer an diversen, im Haftbefehl detailliert aufgeführten Körperstellen, gefasst. Konfrontiert mit den Vorwürfen, hob sie die Hand bis zu ihrem gelockten, blonden Haarschopf, strich dadurch und erklärte im französischen Akzent: “Was sollte isch machen Herr Kommissar, war isch bis hierhin voller Trieb!“ Der Amtsrichter setzte den Haftbefehl außer Vollzug. Claude musste sich allerdings regelmäßig bis zum Gerichtstermin bei der Polizei melden.

Irgendwann kam sie zur Kriminalwache ins Polizeipräsidium und hat sich fürchterlich über die Kollegen der Schutzpolizei der „Gerlingwache“ geärgert. Sie war mit ihrem Ferrari Dino über eine Verkehrsinsel der Hindenburgstraße gerast und hat sich dabei die Ölwanne aufgeschlitzt.  Die Polizisten am Unfallort wollten ihr nicht helfen. Keiner wollte das Öl auf der Straße wegmachen und keiner wollte: „Die scheiß Ferrari haben.“ Auch nicht geschenkt. Hätte sie mich mal als Liebhaber alter und mondäner Autos gefragt.  Der italienische Sportwagen stand dann mehrere Monate auf dem kleinen Hof hinter dem Haus-Nr. 58 der Stahlstraße.

Die Stahlstraße  - im Hintergrund das Gebäude der Funke Medien Gruppe - Aufnahme aus 2018

Die nächtlichen Streifenfahrten führten uns regelmäßig durch die Straße des Dirnenwohnheims mit den 15 Häusern. Natürlich ohne unsere Kolleginnen der Kriminalwache. Es soll nämlich den Fall gegeben haben, dass die Dirnen mit ihren Stöckelschuhen auf das Wagendach geschlagen hätten, als sie eine Frau  im Auto entdeckten. Und wir von der Kripo fuhren nun einmal Zivilwagen. Wie hätten wir die Beulen erklären sollen?

Wenn die Huren in den Fenstern saßen, fragten sie uns schon mal, ob wir ihnen von „Mary’s Imbiss“ am Großmarkt etwas besorgen könnten. Klar, machten wir. Allerdings mit Hintergedanken. Wir sind dann mit den Bratwürsten im Beutel zurückgefahren und so haben wir einiges über ihre Zuhälter, ihre Brutalität oder andere kriminelle Dinge erfahren.

Ab und zu blieb ein Freier nach dem Sex auch mal liegen. Nicht vor Anstrengung oder weil er nicht nach Hause wollte, er war tot. „Jeden Sonntagmorgen kommt er zu mir. Er war so lieb. So großzügig. Er war mein Stammkunde“, erzählte uns eine Prostituierte in einem Todesermittlungsfall. Jetzt war der Stammkunde im “Freierhimmel.“  Kurz vor Abtransport der Leiche bat uns die Liebesdienerin noch: „Ihr müsst seine Badehose nass machen.“ Was sie dann aus uns unerfindlichen Gründen selbst übernahm. Als wir seiner Familie die traurige Nachricht vom Ableben des Haushaltsvorstandes  persönlich überbrachten, war die Reaktion unterschiedlich. Die Tochter: „Donnerwetter, das hätte ich dem Alten gar nicht mehr zugetraut!“  Der Sohn: „Das hat doch sicher eine Mörderkohle gekostet!“ Und die Ehefrau: „Und ich dachte, er geht sonntags immer zum Schwimmen!“ Aha, deswegen die nasse Badehose. Man kennt eben seine eigenen Angehörigen doch nicht so gut wie man meint.

Das trifft auch auf eine andere „Familie“ zu – eher eine Großfamilie. Nachdem ein älterer, sehr gesetzter Herr auf einer schwarzafrikanischen Dame des Gewerbes verstorben war, sichten wir in seiner abgelegten Kleidung nach Personalpapieren. Und schnell war die Kontaktadresse gefunden. Eine Firma mit dem Namen „Domo-Obst“. Was lag näher, als dort anzurufen und die traurige Botschaft vorsichtig und behutsam mitzuteilen.  Unser Erstaunen war groß, als sich unter der Telefonnummer ein Domprobst (!) meldete. Nachdem er eine Minute, wahrscheinlich aus Pietät und Takt, geschwiegen hatte, erklärte er uns dann, dass es sich bei dem Verstorbenen um den örtlichen Vertreter des Bistums handele, der einen Besuch in der Nachbardiözese machte und wohl auf Abwegen geraten war.


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