Es ist eine typische Familiengeschichte der Nachkriegszeit. Erich hat zurzeit sein Nachtlager unter der Gustav-Heinemann-Brücke an der Ruhr in Essen-Werden aufgeschlagen. Sorgfältig liegt sein Hausrat um ihn und seinem Fahrradgespann herum. Die Decken ordentlich gefaltet. Ich komme mit ihm ins Gespräch, frage nach einem Foto, weil mir das Graffito hinter ihm so gut gefällt. Ein riesiger, großer, gelber Vogel. Ein Symbol des Ruhrgebietes. Man findet die Kanarienvögel auch rund um das Weltkurturerbe der ehmaligen Zeche "Zollverein". Der 64-Jährige nimmt einen großen Schluck aus der Pulle. Appelkorn. Das war mal in den 1970er-Jahren ein Klassiker. ("Bier und ’nen Apfelkorn - schalalalala"). Erich: „Ne, der ist preiswert.“
Erich stammt aus Oberaden, ein Stadtteil von Bergkamen in der Nähe von Unna. Ein Bergarbeiterkind. Seine Familie hat allerdings ihre Wurzel hier im Essener Stadtteil Fischlaken, einem der ältesten im Ruhrgebiet. Seine Mutter heiratete nach dem Krieg einen Bergmann, der auf „Pörtingsiepen“ einfuhr. „Was ist das eigentlich für ein Name?“, fragt mich Erich, „Zechen heißen doch eigentlich Hugo, Zollverein oder so ähnlich.“
Dann erfolgt der Wohnungswechsel nach Oberaden. An seinem Vater lässt der gelernte Vermessungstechniker kein gutes Wort. „Er war gewalttätig, hat meine fünf Geschwister und mich ständig verprügelt.“ Und dann nach kurzer Pause: „Einen meiner Brüder hat er so kräftig geschlagen, das er starb. Das hat mir Mutter erst viel, viel später erzählt.“ Erich drückt es drastischer aus.
Erich unter der Ruhrbrücke - er weiß nicht, wie lange er bleibt |
Nach der Schule wird er Vermessungstechniker und zieht nach Berlin. Als sein Vertrag vom Arbeitgeber nicht verlängert wird, geht er zu Fuß zurück ins Ruhrgebiet, erzählt er mir. Und dann beginnt der Absturz. „Alkohol ist der Retter in der Nacht“, singt Herbert Grönemeyer. Nicht für den damals 50-Jährigen. Von da an zieht er durch die Lande – mit seinem Fahrradgespann, kreuz und quer, längst des Rheines, längst der Ruhr. Seit 14 Jahren.
So langsam wir dieses Leben schwer. „Es geht nicht mehr so richtig. Die Kräfte lassen nach.“ Auf die Frage, ob er nicht sesshaft werden möchte, sagt Erich: Ja, schon. Aber das ist alles nicht so einfach". Hilfen von Diakonie oder Caritas lehnt er kategorisch ab.
Jetzt wartet er auf warmes Wetter. Das ist jetzt für Ende Mai angekündigt. „Dann springe ich in die Ruhr und kann mich mal wieder richtig säubern. Außerdem braucht mein Bart auch mal wieder einen Schnitt.“