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Donnerstag, 23. September 2021

Der Plan vom Glück ging zu Ende – Sven Gnida gestorben

Auch wenn es keine innige Freundschaft war und wir uns gar nicht so oft sahen, Sven Gnida war mein Freund. Er starb gestern im Alter von nur 43 Jahren nach schwerer Krankheit. Vor sechs Wochen saßen wir noch bei einem Küchengespräch lange zusammen. Es ging um Beziehung, Krankheit, Tod, Polizei und Tätowierung. Leider war es unsere letzte Begegnung.

Seine Geschichte: Ich habe vor etwa 10 Jahren von einer jungen Polizeikollegin von ihm gehört, als wir zufällig über Tätowierungen sprachen. Sven war jahrelang Polizist in Essen. Seit seiner Kindheit malte er. Immer und Immer wieder. Selbst später auf dem Einsatzwagen der Einsatzhundertschaft hatte er einen Zeichenblock dabei. Er mochte die bleibenden Bilder auf der Haut, auch auf seiner, und hatte einen Traum. Sven wollte Tätowierer werden. Aber dafür einen krisensicheren Beamtenberuf aufzugeben, um sich in die Selbstständigkeit zu wagen? Und dann der Gegensatz. Polizist und Tätowierer. In dieser Zeit noch ungewöhnlich. Gab es doch in unserem Beruf viele Kritiker. Auch heute noch bei den Alten. Sein Vater, ebenfalls Polizist, und seine Mutter rieten ab. Verständlich. Eltern eben. Dann starb plötzlich seine Mutter sehr jung. Sven sagte mir in einer längeren Tattoositzung: „Da war für mich das Zeichen, meinen Traum anzugehen.“ 

Tattooconvention 2018 in Mönchengladbach

Der pensionierte Polizeikommissar machte sich mit seinem Studio in Recklinghausen selbstständig. DARK CONSEPTS wurde eine angesagte Adresse in der Szene. Wartezeiten von bis zu drei Jahren für eine Gnida-Tattoo. Mich nahm er mal zwischendurch unter seine Nadel, als ein Kunde absprang. Die vier Stunden vergingen wie im Flug. Und - es tat nicht weh. Sven führte die Nadel mit einer besonderen Sensibilität.

Der ewige Single, Liebhaber von amerikanischen Motorrädern und Autos, lernte später eine Frau kennen und lieben. Die Beiden heirateten. Das Glück schien perfekt zu sein.

Dann der Moment, der alles zunichte machte. „Das Leben ist nicht fair“, sang Herbert Grönemeyer nach dem Tod seiner Frau. Wie wahr. Im letzten Jahr erfuhr ich – selbst schwer erkrankt – von seinem Schicksal. Diese verdammte Krankheit, die ihn vor Jahren packte, und fast vergessen war, kam wieder. Schwarzer Hautkrebs. Hinzu noch die Pandemie.

Meine bleibende Erinnerung an Sven

Sven schrieb im April im Netz: „Wie einige es bestimmt mitbekommen haben, bin ich schwer an Krebs erkrankt. Das Ladenlokal musste ich schließen, da ich keine Chance auf eine Heilung habe.“ Und dieser Post zeigt, wie er tickte: „Angefangene Projekte werde ich nach und nach kontaktieren um das einmal persönlich durchzusprechen.“ Er wollte seine Arbeiten zu Ende bringen. Fair und seriös seinen Kunden und Freunden gegenüber. So war er. Ein echt dufter Typ aus dem Ruhrgebiet, aus meiner und seiner Heimatstadt Gelsenkirchen. Immer wenn wir uns trafen und ich ihn bei der Arbeit fotografieren durfte, war die Begegnung von Sympathie geprägt. 

Jetzt ziert eine Taschenuhr meinen Unterarm. Ein „echter Gnida“. Die Zeit tickt für uns alle. Bei Sven ist die Uhr viel zu früh gestern abgelaufen. Immer wenn ich jetzt auf meinen Arm schaue, denke ich an ihn.

 

 

Freitag, 10. September 2021

Heute vor 40 Jahren…

Eine Frau mit zwei kleinen Kindern verliert ihren Mann. Rolf Kegel ist gerade 36 Jahre alt und Pilot der Hubschrauberstaffel „Rheinland“ der nordrhein-westfälischen Polizei. Noch eine Woche dann soll sich der Hauptkommissar mehr um die Technik der Helikopter im Hangar am Flughafen Düsseldorf kümmern. Ein Lehrgang in München ist vorbereitet, ebenso sein Umzug mit Frau Karin, Sohn Frank (13) und Tochter Sylke (5) von Kaarst zurück in die Heimatstadt Essen, wo die Eheleute sich auf der Schlittschuhbahn der „Gruga“ in den 1960er-Jahren kennenlernten und relativ schnell heirateten. Es kommt alles ganz anders.

Rolf Kegel ist sehr zielstrebig, privat wie beruflich. Ausbildung zum technischen Zeichner, vier Jahre Soldat bei der Bundesmarine, Eintritt in die Polizei und Dienst in Essen-Borbeck als Kommissar. Und dann erfüllt sich für ihn ein Traum. Er wird Pilot bei der Polizeihubschrauberstaffel. Das schafften nur ganz wenige. Er gehört jetzt dazu.

Rolf Kegel - Daumen hoch - mit seinem Kollegen

Für den 10. September 1981 sind Übungsflüge mit Kollegen vom SEK Essen und Düsseldorf im Bereich Paderborn vorgesehen. Die „Bölkow Bo105“ startet um kurz vor 10 Uhr an diesem sonnigen Tag vom Flugplatz mit den zwei Piloten und drei Insassen. Nach etwa 10 Minuten stürzt die Maschine bei einem Flugmanöver durch eine Talsenke ab, bleibt in einem Waldstück liegen. Im Hubschrauber „Hummel 3“ überleben alle Mitinsassen und der Co-Pilot, weil sie sich noch rechtzeitig vor der Verpuffung aus dem vollkommen zerstörten Wrack retten können, zwei mit schwersten Verletzungen, einer mit leichten, einer blieb unverletzt. Polizeihauptkommissar Rolf Kegel schafft es nicht. Er stirbt in den Flammen. Ich bin der Leichtverletzte in dem Drama.

Karin Kegel (Bildmitte) und meine Frau Sabine am Familiengrab

Heute nach 40 Jahren treffen wir uns am Grab von Rolf auf dem Friedhof in Essen-Rellinghausen: Die Witwe, meine Frau und ich.  

 http://ausserdienst.blogspot.com/2018/09/in-gedenken.html

 

 

 

Mittwoch, 8. September 2021

Es wird immer schlimmer, oder?

Ich lese ganz häufig in den sozialen Netzwerken: „Es wird immer schlimmer.“ Nein, es war schon immer schlimm. Gemordet wurde seit Beginn der Menschheit mit einem Brudermord. Die Bibelfesten erinnern sich. Der deutsche Staat ist für Millionen von Toten verantwortlich. Alleine 51.000 im KZ Buchenwald: „Erschossen, erhenkt, zertrampelt, erschlagen, erstickt, ersäuft, vergiftet, abgespritzt – Väter, Brüder, Söhne. „Dagegen ist der Islamische Staat oder die Taliban „ein Kindergarten“.

Die NRZ berichtet heute im Rückblick „vor 50 Jahren“  über die „Liebespaarmörder „ Rolf Assmann (32) und Volker Bendig (17) sowie über den Flugzeugabsturz in Hamburg mit 22 Toten mit Hinweis auf den Kommentar auf Seite 3 - „Lust am Unglück“.

Die Gewaltdelikte sind rückläufig, weist die Kriminalstatistik aus. Wir können uns noch an die Geiselnahmen in den Geldinstituten („Gladbeck“) der 80er-Jahre erinnern. Bei einigen war ich hautnah dabei. Ich weiß gar nicht, wann es die letzte Geiselnahme in einer Bank gab. Als ich 1971 meine ersten Polizeischritte in der Essener-Innenstadt machte, warnte mich ein älterer Kollege: „Pass auf, Itaker habe immer ein Messer dabei.“ Messer? Heute wieder in der Debatte über Verbote an Bahnhöfen ein Thema. Auch damals wurde schon zugestochen. Die Gewalt war in meiner Kindheit und später sowieso gesellschaftsfähig. In der Familie, der Schule schlug der Vater beziehungsweise der Lehrer zu, Polizisten nahmen die erste Strafe gewaltsam vorweg.

Schaulustige am Unfallort - selbst Kinder dabei

Gaffer hießen früher Schaulustige. Sie hatten Gott sei Dank noch keine Handys dabei. Der ehemalige Polizeipräsident von Essen und Düsseldorf Michael Dybowski bereitet zurzeit einen Aufsatz vor. Er hat mir freundlicherweise das Manuskript zugesandt. Der Titel „Denken ist überhaupt nicht mehr im Mode.“ Dieses Zitat stammt von der Journalistin Anna Haag aus dem Jahr 1941 (!) angesichts der vielen von Nachbarn, Bekannten, Freunden um sie herum, die gedankenlos die Propagandasprüche der Nazis nachwätzten.

Manchmal hilft eben die Geschichte oder die Erfahrung von älteren Menschen doch.

Nein, es ist nicht schlimmer geworden. Doch! Eins ist schlimmer geworden, der Empörungsreflex. Da haut jeder schon einmal rüpelhaft seine Stammtischbotschaft in die virtuelle Welt raus. Und manche glauben es.

 

Mittwoch, 1. September 2021

Vor 50 Jahren

Der 1. September eines jeden Jahres nennt sich intern Nachersatztermin. Frauen und Männer kommen zur Polizeibehörde oder verlassen sie zu anderen Dienststellen im Lande.

Heute haben 80 Polizeikommissarinnen und Polizeikommissare ihren Dienst in den drei Polizeiinspektionen Nord, Mitte und Süd in Essen und 27 in der Polizeiinspektion Mülheim aufgenommen. Die Berufsanfänger haben erfolgreich ihr Studium an der Fachhochschule absolviert und sind ab sofort auf Essens Straßen in ihren blauen Uniformen unterwegs (siehe unten).

Rückblick. Genau vor 50 Jahren habe ich meinen Dienst in Essen begonnen. Alles war anders. Die Ausbildung, das Alter, die Haare, die Dienstgrade, die Uniform, die Organisation und die Geschlechter. Frauen gab es noch nicht im uniformierten Polizeidienst. Sie kamen erst 11 Jahre später hinzu. Wir waren 78 Mann und wurden auf sechs Schutzbereiche in Essen aufgeteilt.

2021 - Meine alte Polizeiwache - Gerlingstr. 16

Als „Polizeioberwachtmeister im Einzeldienst“ mit zwei Streifen auf den Schulterklappen  war meine erste Station die „Gerlingwache“ (Schutzbereich I) in der Innenstadt. Ich war 18 Jahre alt und 1971 noch nicht volljährig, trug allerdings schon eine Pistole und durfte in Grundrechte eingreifen. Meine alte Wache in der Gelingstraße nahe des Viehofer Platzes gibt es nicht mehr. Dort ist jetzt die Uni Essen/ Duisburg mit einer Außenstelle drin. Trotzdem habe ich heute als Rentner noch mal nostalgisch an meiner ersten Wirkungsstätte vorbeigeschaut.

Polizeioberwachtmeister Klein 1971
  
 Pressemitteilung der Polizei Essen 1.9.2021: https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/11562/5009039