Vor 60 Jahren wurde Deutschland durch die Mauer geteilt.
Zunächst in Berlin dann über 1000 Kilometer quer durch das Land. Trotz der Lüge
des damaligen DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht: „Niemand hat die
Absicht, eine Mauer zu bauen.“ Von jetzt auf gleich, konnten sich Menschen
nicht besuchen, Familien wurden getrennt. Tragödien begannen.
Ich war als kleiner Junge ein kleiner Teil dieser deutschen
Geschichte. Am 13. August 1961 befand ich mich mit Oma und Opa West bei Oma und
Opa Ost in Ferien. Die Großeltern aus West nannte ich „Wanne“, die aus Ost „Malchow“.
Die Namen sind geographisch besetzt. Wanne für Wanne-Eickel
(Nordrhein-Westfalen), Malchow für Malchow (Mecklenburg). So einfach.
Der 2. Weltkrieg war schon für die Trennung meiner Familie
verantwortlich. Mein Vater schaffte es nach kurzer Gefangenschaft bis ins
Ruhrgebiet. Seine Eltern blieben auf der Flucht vor den Russen in Mecklenburg
hängen. Weil es hier so aussah wie in Ostpreußen an den masurischen Seeplatte,
so die Begründung. Mein Opa wusste da noch nicht, dass die Sowjetunion auch diesen schönen Teil
Deutschlands auf Jahrzehnte im Griff hatte.
Malchow liegt an der Seenplatte, meine Großeltern hatten dort
ein Haus mit großem Garten direkt am See, am Fleesensee. Ich lernte dort Kartoffeln
ausbuddeln, Hühner füttern und die Vorzüge eines sozialistischen Staates durch Besuche
im Kinderhort mit meinem Cousins. Blaues Tuch um den Hals und morgendlicher
Fahnenappell: „Seid ihr bereit, immer bereit.“ In den Filmen waren die Russen
immer die Guten und die Amis die Bösen. Das irritierte mich. War es doch in
Gelsenkirchen immer umgekehrt. Von Opa West-Wanne lernte ich das Angeln. Rotfedern
für die Hühner und Katzen weil so grätenreich, Barsche und Aale für die Pfanne.
Unser größter Fang war ein viereinhalb Kilogramm schwerer Hecht (Bild). Ein Riesentier,
fast so groß wie ich, glaubte ich damals. Der Kampf mit dem Riesenmonster war
mein größtes Ferienerlebnis.
An dem Tag der Teilung, dem 13. August 1961, kann ich mich
nur schwach erinnern. Ich war 8 Jahre alt. Opa Malchow saß ganz nah am Radio, hielt
sich mit einer Hand das umgeklappte Ohr und lauschte dem Sprecher. Er war ein
bisschen schwerhörig. Dann unterhielten sich die Erwachsenen über die Top-Nachricht.
In Berlin wird eine Mauer gebaut, die Alliierten stehen sich mit Panzern
gegenüber. Beginnt jetzt der 3. Weltkrieg? Kommen wir wieder rüber? Oder müssen
wir für immer in der DDR bleiben? Diese Ängste teilten auch meine Eltern daheim.
Natürlich durften wir zurück.
Auch später bis ins hohe Alter hinein konnten wir mit Visum nach
Malchow reisen. Andersherum ging es nicht. Bis eben zum 9. November 1989.
Oma Malchow starb schon in den 1960er-Jahren, Opa Malchow
viel später. Unser Sohn Axel und unsere Tochter Nina haben „Ur-Oppa“ noch kennengelernt.
Er wurde bis zu seinem Tod von seiner Tochter, Tante Dora, gepflegt. Sie und
ihren beiden Söhne waren ein „Maueropfer“. Denn kurz vor dem Bau floh ihr Mann
Gustav und der Vater von Wolfgang und Lothar in den Westen. Er hat
rübergemacht, hieß das. Seine Familie sollte und wollte auch nachkommen. Aber Tante
Dora zögerte: „Ich kann doch meine Eltern nicht zurücklassen.“ Die Entscheidung
zur Familienzusammenführung nahm das DDR-Regime mit Stacheldraht und
Todesstreifen am 13. August 1961 ab. Onkel Gustav, Tante Dora und ihre Kinder
kamen nie mehr zusammen. Gustav starb vor der friedlichen Revolution 1989 und der
Wiedervereinigung in Augsburg.