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Donnerstag, 16. Juli 2020

Beim Frisör und die Schweiz des Nahen Ostens

Der Besuch heute beim Frisör nach über drei Monaten ließ mich wieder einen Blick auf den Libanon werfen. Mein Frisör Rahib kommt nämlich daher. Ein feiner, fleißiger Mann, der seit über 10 Jahren in Essen wohnt und sich seitdem um meine Haare, sagen wir besser Bart, kümmert. Das hat er in seinem Land auch bei einigen Promis getan. Die Fotobeweise hat er mir gezeigt. Ich kann also mit Fug und Recht behaupten, dass ich zu einem Promi-Frisör gehe. So wie die Top-Fußballer, die ihre Coiffeure schon mal einfliegen lassen und das Ergebnis dann twittern. (Mache ich heute auch). Nur mein Haarschnitt kostet ein Bruchteil. Mein  Frisör ist verheiratet und hat vier Töchter: Lela, Leyla, Lea und Thalia. Bei den Namensgebungen war ich nicht ganz unbeteiligt. Beim letzten Mädchen habe ich ihm gesagt, dass mit der L-Serie Schluss sein solle. Er hat auf mich gehört. Von ihm lerne ich eine Menge über sein Heimatland. Seine zwei Schwestern leben noch in der Hauptstadt Beirut, gehen aber kaum vor die Tür. Aus Angst.

Einst die Schweiz des Nahen Ostens genannt, versinkt Libanon zurzeit im Chaos. Rahib kennt noch die Zeit, in der Christen und Moslems friedlich miteinander auskamen. Auch in seiner Familie gab es unterschiedliche Religionen, auch Mischehen. Aber nur so lange, bis  der Einfluss der Nachbarstaaten und Gruppen immer größer wurde. 1975 entbrannte der erste Bürgerkrieg im Libanon. Verschiedene religiöse und ethnische Gruppen - maronitische Christen, sunnitische und schiitische Moslems, Palästinenser und Drusen - schlugen aufeinander ein. Mehr als 100.000 Menschen starben, viele flüchteten nach Europa. Darunter auch eine arabische Völkergruppe, die ursprünglich aus der Türkei stammt. Diese Mhallami bringen Libanon durch kriminelle Handlungen in Deutschland in Verruf. Heute sprechen viele fälschlicherweise von libanesischen Familienclans.

Anfang der 1980er-Jahre griff Israel in die Konflikte des Nachbarstaates im Norden ein. Heute ist die Hisbollah ein Staat im Staate. Sie wird vom Iran unterstützt und ist in Deutschland als terroristische Vereinigung verboten.

Es herrscht Chaos im Libanon. Keine Wasser- und Stromversorgung, korrupte Politiker, hohe Arbeitslosigkeit, Geldverfall, Demonstrationen, Gewalt. Hinzu kommen die vielen Millionen Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet Syrien.

Mein Frisör Rahib („Eine Sisha-Bar habe ich noch nie von innen gesehen“) ist glücklich und zufrieden in Deutschland. Und dankbar. Das betont er immer wieder. Bei Sportveranstaltungen sitzen er und seine vier Töchter in Trikots der deutschen Nationalmannschaft vor dem Fernseher. Er und seine Familie sind eine Bereicherung für unsere Gesellschaft. Sein Heimatland Libanon, die Schweiz im Nahen Osten, so wie er es noch aus seine Kindheit her kannte und verlassen musste, existiert nicht mehr.

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