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Sonntag, 11. November 2018

100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg - Wie Opa Willi den Krieg überlebte


Eigentlich verdanke ich mein Leben einem Regimentsarzt im 1. Weltkrieg. Ohne ihn gäbe es mich nicht. Also, im weitesten Sinne. Die folgende Geschichte hat mir mein Großvater zig Mal erzählt. Meist hörte ich sie sonntags im Bett, während Oma in der Küche das Frühstück zubereitete und jedes Lied im Radiogottesdienst textsicher laut mitschmetterte. („Ein feste Burg ist unser Gott“). Opa Willi war junger Soldat im 1. Weltkrieg. 21 Jahre alt. Eingezogen im Dezember 1914 als Schütze in das Garde-Schützen-Bataillon in Berlin-Lichterfelde. Darauf war er sein Leben lang stolz.
Der erste Weltkrieg dauerte da schon ein halbes Jahr. Opa war auf den Kriegsschauplätzen in Frankreich und Russland eingesetzt. In den Schützengräben lagen sich die Soldaten auf Rufweite gegenüber. Nahe Popeljany im Osten traf ihn eine Kugel ins linke Schulterblatt, drang in den Körper ein und blieb im Lungenflügel stecken. So wusste ich schon als Steppke, was ein Lungensteckschuss ist. Eigentlich der sichere Tod. Und so landete Opa Willi auch bei den auf dem Schlachfeld eingesammelten Gefallenen. „Gestorben für Kaiser und Vaterland“ hätte in der Benachrichtigung für seine Eltern gestanden. Hätte.
Ein Regimentsarzt musste jedoch vor dem endgültigen Aus und dem Verscharren in riesigen Massengräbern, die Gefallenen, aufgebahrt in Reih und Glied, noch im Schnelldurchgang in Augenschein nehmen. Opa röchelte genau in dem Moment, als der Arzt in seiner Höhe war. “Der lebt noch, ab mit ihm ins Lazarett“, vernahm Schütze Wilhelm Distelrath noch. Das geschah am 26. April 1916. Mein Opa überlebte. Die so genannte Schrabnellkugel, der tödliche Inhalt einer Granate, hatte er zur Erinnerung behalten. Ein Mordsding in meinen kindlichen Augen. In seinem Pass stand bis zu seinem Tod als besonderes Kennzeichen: Narbe am linken Schulterblatt. Für den 2. Weltkrieg war mein Großvater zu alt, obwohl in seinem Nachlass noch ein Wehrpass zu finden ist. Bedingt kriegsverwendungsfähig steht darin. Opa Willi führte ein bescheidenes, zufriedenes Leben als Eisenbahner, war über 65 Jahre mit Oma Lina verheiratet und starb im hohen Alter von 96 Jahren.


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