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Dienstag, 6. März 2018

Gespräche mit Oswald



Ich liebe diese Gespräche mit meinem Onkel, dem Bruder meiner verstorbenen Mutter. Oswald ist 93 Jahre alt. In letztrer Woche haben wir in seiner Küche sechs (!) Stunden gesessen, gestritten, debattiert, gelacht. Die Gesprächspalette reicht von der GroKo, über den gescheiterten Martin Schulz, der schwachen Bundeskanzlerin, dem Dieselskandal bis hin zu Rechtsfragen rund um seinen Behindertenparkplatz, der immer wieder von Falschparkern blockiert wird. Nein, keine Angst. Onkel Oswald fährt kein Auto mehr. Das macht seine 78-jährige Lebensgefährtin für ihn.
Aber zum Ende meines Besuchs lenke ich ihn immer wieder um viele Jahrzehnte Jahre zurück. Eigentlich ungewöhnlich, dass ich das tun muss, denn Männer in seinem Alter erzählen doch eigentlich immer von früher. Onkel Oswald nicht. Er ist eher tagesaktuell.
„Erzähl mir, wie es damals war?“. Dann landeten wir wieder bei seiner Kindheit mit seiner älteren Schwester Katharina, meiner Mutter, bei meinen Großeltern, seinen Eltern. Familienerinnerungen. Und beim 2. Weltkrieg und bei seiner Zeit als blutjunger Soldat.1943. Onkel Oswald, gerade mal 17 Jahre alt, zieht als Unterfähnrich in den 2. Weltkrieg.
Schon am ersten Einsatztag im ehemaligen Ostpreußen trifft  eine russische Granate in seine Einheit. Sieben jugendliche Kameraden werden zerfetzt. Er hat Glück. In dieser Nacht hat Adolf Hitler seine Ausstrahlung auf ihn verloren. „Da wusste ich, dass er ein Verbrecher war.“ Aber er gesteht auch seine vorherige Begeisterung für ihn und das System ein. „Ich habe ja nie was anderes als Junge und Jugendlicher gehört.“ Wie toll Deutschland ist, wie die Wehrmacht ganz Europa besiegte, was die anderen Länder mit seiner Heimat anstellen wollen. Und all diesen anderen Schwachsinn der Nazis.
Oswald landet nach 15 Monaten Kriegseinsatz in russischer Gefangenschaft in Sibirien, nahe Omsk. Rund 5000 Kilometer von seiner Heimatstadt Wanne-Eickel entfernt. Er wird krank. Lungenentzündung, Diphtherie, magert immer mehr ab.
Weil er nicht mehr arbeitsfähig ist, schicken ihn die Russen wieder zurück nach Deutschland. Mit anderen gebrechlichen Kriegsgefangenen ab in einen Viehwaggon, ab Richtung Westen. Viele Soldaten sterben auf dem langen Weg. Er selbst ist nur noch Haut und Knochen, wiegt 36 Kilogramm.
Es folgt nach den Kriegerlebnissen ein langes erfolgreiches Leben, obwohl drei seiner Frauen sterben. Aber er gibt nicht auf, trifft vor 5 Jahren seine jetzige Lebensgefährtin.
Eigentlich müsste mein Onkel jungen Menschen seine Geschichte erzählen, was Demagogen anrichten können, was Krieg bedeutet. Tod und Leid.
Ich freue mich schon auf unser nächstes Küchengespräch,
Vor Gesprächsbeginn. Seine Freundin hat alles vorbereitet.

1 Kommentar:

  1. Beeindruckend, lieber Uwe. Wir sollten viel häufiger den alten zuhören und von ihren Erfahrungen profitieren und aus ihren Fehlern lernen.
    Und auch die Fotocollage ist sehr gelungen. Wenn man genau hinsieht, erkennt man, wie in der Collage im Hintergrund die Dunkelheit hereinbricht.

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