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Dienstag, 11. April 2017

Nach 72 Jahren…

Auf insgesamt 39 Friedhöfen im Stadtgebiet von Essen ruhen fast 10.000 Kriegstote aus beiden Weltkriegen. Es sind Bürger, Soldaten, Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, Menschen jüdischen Glaubens, Männer, Frauen und Kinder. Sie alle wurden Opfer von Krieg oder Gewaltherrschaft. Statistik.
Auch auf dem Bergfriedhof in Fischlaken haben viele Menschen ihre letzte Ruhestätte gefunden. So wie die drei jungen Soldaten, die in den letzten Kriegstagen von einem Militärgericht verurteilt und standrechtlich erschossen wurden. Sie liegen nebeneinander. Ganz in der Nähe befindet sich auch das Grab von Heinz Hicking. Es brennt eine Kerze davor. Aber wer besucht noch einen Menschen, der vor 72 Jahren gestorben ist? Am Wochenende sah ich ein älteres Ehepaar vor dem steinernen kleinen Kreuz. Renate aus Überruhr, 76 Jahre alt, besucht seit vielen Jahrzehnten hier in Fischlaken ihren Bruder. Sie hat nur noch ganz schwache Erinnerungen an ihn. Sie war 4 Jahr alt, als ihr Bruder Heinz durch die Kugel eines amerikanischen Soldaten im April 1945 starb. Die Familie wohnte damals in der Mintropstraße. Der Krieg war schon fast vorbei, das Ruhrgebiet von amerikanischen Truppen umzingelt. Rund um Werden gab es noch Gefechte, weil sich Unbelehrbare immer noch den Alliierten zur Wehr setzten. Heinz Hicking, Lehrling in einem Druckhaus, wollte nur ganz kurz Kartoffelschalen für seine Kaninchen vom Feld besorgen, als ihn die Kugel traf. Ärztliche Hilfe konnte in den Kriegswirren nicht mehr geleistet werden. Der Junge starb. Sein Vater hob oben auf dem Bergfriedhof eigenhändig das Grab aus, erzählt mir die jetzt betagte Schwester. Die Mutter kam nie richtig über den Tod ihres Sohnes hinweg. Auch Renate hat immer noch ein inniges Verhältnis zu ihrem Bruder. Und das nach 72 Jahren. Ein Krieg endet für die Angehörigen nie.




(c) uk-Fotos

1 Kommentar:

  1. Die Geschichte hat mich sehr bewegt und zum Nachdenken angeregt.

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