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Mittwoch, 2. November 2016

Polizeistatistik - Teil 2


Nach seinem Auftreten im Innenausschuss der NRW-Landtags und der folgenenden medialen Berichterstattung hat mein Kollege, Kriminalhauptkommissar Dr. Frank Kawelovski, einen "Offenen Brief" geschrieben, gerichtet an seine Polizeikolleginnen und -kollegen:




Mülheim, 29.10.16
 
Offener Brief zum Thema „Verzerrung von PKS-Aufklärungsquoten“


Liebe Kolleginnen und Kollegen,

am 27.10.16 hat es eine Innenausschusssitzung des NRW-Landtages gegeben, in der über ein Maßnahmenpaket der CDU-Fraktion zur Bekämpfung des Wohnungseinbruchs beraten wurde. Hierzu bin ich neben anderen Fachleuten vom Landtag als Gutachter bestellt und auch in der Sitzung vom Innenausschuss angehört worden. In meinem Gutachten habe ich zu zahlreichen Aspekten der Einbruchsbekämpfung Stellung bezogen und glaube nach wie vor, eine differenzierte und objektive Bewertung abgegeben zu haben. Das 18-seitige Gutachten kann unter dem Link

https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument?Id=MMST16/4352

eingesehen werden. Das mediale Interesse an dem Gutachten hat sich sehr schnell auf einen einzigen
Punkt meiner Stellungnahme, eine deutlichen Kritik an dem exzessiven Umgang mit den Aufklärungsquoten der PKS und einer kleineren Zahl echter Statistikfälschungen fokussiert. Mir war schon zuvor klar, dass dieser Punkt Interesse wecken würde, allerdings hat mich das Ausmaß der öffentlichen Reaktionen überrascht. Ich habe zudem innerhalb von zwei Tagen über unterschiedlichste Kanäle mehr als 200 Rückmeldungen von Polizeikolleginnen und -kollegen dazu bekommen. Diese Rückmeldungen waren ausnahmslos positiv und reichten von über „Mutig! Ich wünschte, ich würde mich so etwas auch trauen“ bis „Hoffentlich hast du jetzt erreicht, dass dieser Quoten-Irrsinn aufhört und niemand mehr verprügelt wird, der Überstunden macht, aber keine Wunschzahlen liefert“. Diese Rückmeldungen haben mich gestärkt, zugleich habe ich aber auch von Kollegen gehört, dass es durchaus sehr kritische Bewertungen gab, die im Extrem Inhalte wie „Nestbeschmutzer“, „Dreckschleuder“und „Kollegenschwein“ trugen. Leider hat sich nicht ein einziger (!) dieser Kritiker bei mir persönlich gemeldet. Ich bin jederzeit zu einem von Sachargumenten und gegenseitigem Respekt getragenen Austausch bereit. Ich halte für möglich, dass der eine oder andere, der sein Unverständnis über mein Gutachten geäußert hat, nur einzelne, zum Teil verkürzte und medial verzerrte Informationen hatte, aber weder mein Gutachten gelesen, noch die Videoaufzeichnung der Landtagssitzung

https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/Webmaster/GB_I/I.1/video/video.jsp?id=1003951

gesehen hat. Vielleicht käme er in Kenntnis dieser Quellen nicht mehr zu dem Ergebnis, dass ich die Kollegenschaft und die Polizei in ein schlechtes Licht gerückt habe, sondern an einem einzelnen Punkt Kritik geübt habe, zu dem ich allerdings auch unverändert stehe. Ich gebe meinen mir nicht bekannten Kritikern auch zu bedenken, dass ich mich nicht mit verpixeltem Gesicht, computerverzerrter Stimme und Geheimdokumenten in der Tasche vor Fernsehkameras gesetzt habe, sondern mich – im Bewusstsein persönlicher Angreifbarkeit – mit offenem Visier zur Sache geäußert habe. Leider kommunizieren die wesentlichen Entscheidungsträger nicht mit mir, sondern ausschließlich über mich. Eine DPA-Meldung, nach der ich meine Aussagen zur Statistikfälschung später zurückgenommen habe, ist übrigens falsch und von einigen Medien zwischenzeitlich auch korrigiert worden.
Ich glaube, dass wir in der nordrhein-westfälischen Polizei gute Arbeit leisten und wir uns auch bei der Einbruchsbekämpfung nicht verstecken müssen. Allerdings sollten wir es auch nicht nötig haben, in einem unredlichen Maße Quoten künstlich und mit aller Gewalt nach oben zu drücken, obwohl wir
sie auch bei größtem Bemühen nicht erreichen können. Der Einbruchdiebstahl ist ein äußerst schwer
aufklärbares Delikt und wird es – auch bei größter Anstrengung, Auswege aus dem Dilemma zu finden – bleiben. Ich möchte weder mit Herrn Jäger im Innenministerium noch mit den Polizeipräsidenten tauschen, die die Ergebnisse der Kriminalitätsbekämpfung zu verantworten haben und nach außen vertreten müssen. Jedoch müssen wir von jedem Verantwortlichen auch ein Mindestmaß an Ehrlichkeit und Rückgrat erwarten können. Wenn ich in der Zeitung lese, dass etwa die Essener Kripo- Chefin Frau Thon erklärt haben soll, dass es eigentlich auf die Aufklärungsquoten nicht ankomme, so wundert mich dies. Noch bis zum Tag zuvor war in allen Veröffentlichungen des Innenministeriums und der Polizeipräsidien die Quotenerhöhung neben der Senkung der Fallzahlen zu einem der beiden Hauptziele der Einbruchsbekämpfung erklärt worden.

Wenn wir glauben, dass wir uns über stark verzerrte oder sogar gefälschte Aufklärungsquoten nach außen in ein besseres Licht setzen müssen, so gebe ich zu bedenken, dass wir damit das Lagebild „PKS“, aus dem wir wichtige Sachinformationen für die Kriminalitätsbekämpfung schöpfen müssen, unbrauchbar machen und dass wir mit jeder Phantom-Aufklärung auch einen Phantom-Tatverdächtigen erzeugen, der mit all seinen Merkmalen in die PKS eingeht und in der Masse schließlich ein fiktives Bild davon formt, wer unsere Täter sein könnten. Mit einer verzerrenden Darstellung legen wir allerdings leichtfertig einen Generalverdacht auf ganze Bevölkerungsgruppen. Ich weiß aus meiner eigenen 36-jährigen Polizeipraxis, dass genug Menschen aus Osteuropa unser Land aufsuchen, um hier Straftaten zu begehen. Wenn wir den Umfang dieses Phänomens aber mit Zahlen erhöhen, ohne für die Höhe valide Beweise zu erbringen, so tun wir denen Unrecht, die aus diesen Ländern kommen und hier nur ihrer Arbeit nachgehen und ein friedliches und gesetzestreues Leben führen wollen. Ich kenne selbst Familien aus Osteuropa, die sich durch die medialen Darstellungen des Themas „Osteuropäer und Kriminalität“ belastet fühlen. Neben diesem Aspekt erzeugt ein leichtfertiger Umgang mit der PKS aber auch noch weitere Schäden. So wird jedem Bürger die Möglichkeit genommen, sich ein klares Bild über das Kriminalitätsgeschehen in unserem Land zu machen. Wir sollten es aber nicht nötig haben, die Bürger über die wahren Kriminalitätsverhältnisse und auch über die Möglichkeiten und Grenzen polizeilicher Arbeit zu desinformieren. Und schließlich sorgt ein manipulativer Umgang mit Aufklärungsquoten auch dafür, dass Behörden – und ihre Mitarbeiter – die fleißig Einbruchsbekämpfung betreiben, aber in der Darstellung ihrer Arbeitserfolge ehrlicher sind, politisch und dienstlich gegeißelt werden, weil sie scheinbar schlecht gearbeitet haben.
Ich sehe in einer Gesamtbewertung nicht, dass wir in Nordrhein-Westfalen schlechte Polizeiarbeit leisten. Viele Kolleginnen und Kollegen machen Überstunden und reißen sich – zum Teil ohne dafür nur die geringste Anerkennung durch Vorgesetzte zu erhalten – für ihre berufliche Arbeit ein Bein aus. An den Fachhochschulen für öffentliche Verwaltung – ich selbst unterrichte in Mülheim – sitzen junge Frauen und Männer, die für ihre Berufswahl brennen und es nicht abwarten können, die Menschen im Land zu schützen und bereit sind, sich dafür selbst Gefahren auszusetzen. Es gibt also ein großes und gutes Potential.

Ich stehe, damit möchte ich abschließen, für eine sachliche Auseinandersetzung zur Verfügung. Ich hoffe, dass es genug Kollegen gibt, die Ursache und Wirkung nicht miteinander verwechseln. Man sollte nicht den Stromableser verprügeln, wenn der Stromverbrauch zu hoch war. Darüber hinaus möchte ich auch jeden Kollegen, der Missstände feststellt, ermutigen, diese beim Namen zu nennen,
egal ob er damit dem Mainstream folgt oder nicht. Nur so kann sich eine Organisation wie die Polizei
positiv fortentwickeln. Konstruktive Kritik ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie und unseres Rechtstaates, Mauschelei und Vertuschung lassen beides untergehen, den Beweis hat die Geschichte
vielfach erbracht.

Mit besten Grüßen und guten Wünschen für die Arbeit
Euer / Ihr
Frank Kawelovski

Frank Kawelovski in historischer Uniform am Tag des Polizeimuseums in diesem Jahr. Er kennt die Polizei aus dem Effeff  - ©uk-Foto



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